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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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Bitte?
    GRIECHE (lacht) : Geheim, hab ich gesagt.
    JUNGE : Wieso geheim? Ein Pass ist doch kein Geheimnis?
    GRIECHE (traurig) : Nein, du hast Recht.
    JUNGE : Dann kannst du es auch erzählen.
    GRIECHE : Entáxi . Zur Erinnerung.
    JUNGE : Zur Erinnerung?
    GRIECHE : Ja klar. (Steigt von der Leiter herunter und fischt den Pass heraus.) Das hier war ich. Der Pass, der ist gestorben. Und das hier, ah, das hier bin ich. (Sucht unter dem Kissen auf der Matratze, findet einen weiteren Ausweis, diesmal von einem anderen Wappen geziert.) Wenn du willst, du jetzt kannst trommelommeln.
    JUNGE : Du bist ein richtiger Svensson geworden?
    SCHWEDE (sagt nichts, sagt schließlich) : Waschecht.
    JUNGE (begutachtet das eingestempelte Datum in dem alten Dokument und sieht, dass es etwa einen Monat zurückliegt) : Heißt das, du bist kein Gastarbeiter mehr?
    SCHWEDE (lächelt immer noch) : Man kann über seinen Schatten springen?
    JUNGE : Ich glaube, ich verstehe.
    GRIECHE : Wenn das so ist, ich nichts brauche sagen.
    COUNTDOWN . Als Jannis und Agneta sich im Spätherbst 1968 in der neuen Wohnung eingerichtet hatten, kauften sie einen Adventskerzenständer und begannen zu zählen. Noch waren es ein paar Wochen bis Weihnachten, aber das Kind konnte jederzeit kommen. Zum ersten Mal waren sie allein und zusammen – ohne die Freunde und Verwandten in Balslöv, ohne Agnetas Eltern und ohne Frau Granqvist, die gegen Ende ihres Aufenthalts begonnen hatte, sich merkwürdig zu verhalten.
    »Ich glaube, sie ist vor Neid geplatzt.«
    »Geplatzt? Frau Greta nicht Ballon.«
    »Stell dich nicht dümmer, als du bist. Ich meine: Sie war eifersüchtig.«
    »Ballon nicht süchtig sein kann, Agneta.«
    Eine Saftfabrik gab es an ihrem neuen Wohnort allerdings nicht, so dass Jannis in Harald Olssons Buchdruckerei Papierbögen sortierte und von einer Karriere als Sportlehrer und Historiker träumte. Agneta bat um eine Beurlaubung von den Seminaren, bis das Kind nicht mehr gestillt werden musste, und hoffte, dass sie als frisch vermähltes Paar keine Probleme mit der Wohnung bekommen würden, weil bislang keiner von ihnen offiziell als Student eingeschrieben war. Sie träumte von gestärkten Schößen und selbstsicheren Bewegungen, von präzisen Informationen in lebensbedrohlichen Situationen und jenem rätselhaften, aber noblen Lächeln, das ihre einzige Reaktion auf die Dankbarkeit der Patienten sein würde. Unter gar keinen Umständen wollte sie die Hausfrau werden, die ihr Mann, wie sie befürchtete, von ihr erwartete. Zwischen Gitterbett und Herd hin und her latschen, um Taschengeld betteln, Hemden, Unterhemden, Unterhosen bügeln? Nicht mit Agneta Georgiadis-Thunell. Wenn ihr Mann ein neues Auto haben wollte, musste er die Kosten übernehmen, sie gedachte dafür einen Teil der Miete zu übernehmen, und in die Haushaltskasse würde jeder von ihnen den gleichen Betrag einzahlen. Weitere Kinder in angemessenen zeitlichen Abständen kamen nicht in Frage. Letzteres sprach sie nie aus, weil sie inzwischen wie eine Lady schwieg. Aber bei ihrem letzten Besuch in der Mütterberatungsstelle hatte sie sich nach Methoden erkundigt, die sicherer waren als Gummis.
    Das Luciafest kam und ging.
    Das Jesuskind kam und ging. Oder was immer es tun mochte.
    Es kamen Kinder, die an die Tür klopften. Aber nicht wieder gingen. Dann aber doch gingen, als die hochschwangere Frau den essbaren Christbaumschmuck vom Baum nahm und ihnen in die Hände drückte.
    Auf der Rückseite eines alten Rezeptblocks von Doktor Florinos richtete Jannis eine Tabelle ein. In die eine Ecke zeichnete er ein geflügeltes Rad. Neben die letzten Tage schrieb er, »ein bisschen Dienstag«, »viel Dienstag« und »nur Dienstag«. Den 24. Dezember, für den die Niederkunft phantastischerweise ausgerechnet war, verbrachten sie mit Datteln, Nüssen und Weihnachtsgeschenken im Bett. Am Kopfende stand die fertig gepackte Tasche. Danach wusste er jedoch nicht mehr, was er noch schreiben sollte. Der 25. wurde mit einem »Dienstag?« versehen, der 26. und 27. mit »?-Tag«. Der 28. blieb ohne Angabe. In welcher Zeitrechnung befanden sie sich, wenn der alte Kalender keine Gültigkeit mehr hatte, der neue aber noch nicht in Kraft getreten war? Ließen sich diese Tage überhaupt zählen? »Was ist, wenn er nicht kommt?«, fragte er am Sonntag, den 29. »Keine Sorge. Das Kind tritt wie eine komplette Fußballmannschaft. Woher willst du übrigens wissen, dass es ein Er wird?« »Weiß ich nicht«, antwortete

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