Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
Vom Netzwerk:
zählen, wenn man es wirklich wollte. Ich liebte ihn, weil er manchmal von einem Gewitter erfüllt zu sein schien, das nicht heraus fand. Ich liebte ihn, als er Fahrstunden nahm und erzählte, dass ihm im Auto nicht mehr schlecht wurde. Ich liebte ihn, als er erklärte, dies komme daher, dass das Lenkrad zu seinem verlängerten Arm geworden sei. Ich liebte ihn, als er behauptete, es würde mein Bein stärken, wenn ich Gas geben und bremsen lernte. Ich liebte ihn an jenem Abend, an dem du fort warst und ich ihm endlich erzählte, was ich Tsoulas zu tun gebeten hatte. Ich liebte ihn, obwohl er am nächsten Tag nach Kristianstad fuhr. Ich liebte ihn, als er aus Balslöv anrief und erzählte, dass man tatsächlich auch an einem anderen Ort als Makedonien glücklich sein könne und ich es ausprobieren solle. Ich liebte ihn, als wir ihn besuchten und er die rote Kugel durch die ersten Tore schlug und noch voller Zuversicht war. Ich liebte ihn, weil du ihm immer einen Schritt voraus warst, während er immer einen Schritt hinterherhinkte. Ich liebte ihn für all die neuen Redensarten, die er sammelte; ›das klappt ja wie am Schnürchen‹, ›toi, toi, toi‹, ›man kann nicht über seinen eigenen Schatten springen‹ … Ich liebte ihn, weil er kein Kohlrübenpüree mochte. Ich liebte ihn, weil er nie tat, als würde er es nicht bemerken, wenn man ärgerlich oder traurig war. Ich liebte ihn, als er erklärte, zuweilen fühle er sich schwerelos, anonym, ganz ohne Gepäck. Ich liebte ihn, als Großmutter starb und er sagte, manchmal müsse es sich anfühlen dürfen, als wäre der Bauch voller Blumen und alter Schuhe und plumper Trauer. Ich liebte ihn, als er nach Tollarp zog. Ich liebte ihn, obwohl er nach Tollarp zog. Ich liebte ihn bis zu dem Moment, von dem ich mir immer noch wünschen würde, er wäre niemals gekommen. Aber ich liebte ihn nicht, weil er mich liebte.«
    20. JULI? Es wurde Sommer, nichts wurde besser. Jannis begriff nicht, was mit der Biene passiert war, die ihn nur anderthalb Jahre zuvor so schmerzlich schön gestochen hatte. Die Tage waren warm und hell, die Luft hätte von frischestem Summen erfüllt sein sollen. Stattdessen wurde sie bloß schwül und schwer.
    »Hier, schau mal«, sagte er nach etwa der Hälfte der Industrieferien. Das exakte Datum ist unsicher, aber wir wissen, dass er sich an Agneta wandte, die in dem Licht, das zur Wohnungstür hereinfiel, stehen geblieben war. Sie war einkaufen gewesen, Staubpartikel umschwebten das Haar. Ihr Mann hob die Tochter hoch, die nach seinen Zeigefingern fasste, als wären sie die Griffe eines Fahrrads. Jannoula trug einen gestrickten Strampelanzug, ihre Haare waren schwarz und voller Schorf. Als er sich vorwärts bewegte, stieß sie laute Töne aus. Die krummen Beine traten in der Luft. Sie sah aus wie eine Miniastronautin. »Ein großer Schritt für die Menschheit«, sagte ihr Vater. »Sie sollte schlafen«, sagte die Mutter.
    DREI SEKUNDEN . Glaubt man den Lehrbüchern von Doktor Florinos benötigt ein Mensch drei Sekunden, um eingehende Informationen so zu verarbeiten, dass der Körper angemessen reagieren kann. Wir wissen nicht, ob das stimmt, aber es folgt ein Beispiel eine Woche, nachdem Jannoula ihre ersten, verfrühten Schritte gemacht hat.
    »Sieh dir das mal an.« Agneta warf die Broschüre, in der sie gelesen hatte, auf den Couchtisch. »Ich glaube, Jane sollte keinen Muttermilchersatz mehr bekommen. Jedenfalls nicht aus dem Keramikbecher von den Florinos.« Sie saß mit ausgestreckten Beinen auf der Couch. Sie war müde, vielleicht auch traurig und schien Kopfschmerzen zu haben. Jannis, der seinen Brief an den vereidigten Übersetzer beendet hatte, klebte gerade den Umschlag zu, in dem seine neuen Zeugnisse lagen. Dann hob er das Handtuch an, das vor dem Kinderwagen hing. Dahinter schlief seine Tochter mit offenem Mund und hastigen Herzschlägen. Er sog den Geruch von Rosinen, verdünntem Essig, Meersalz ein. Mit dem Duft seiner Tochter in der Lunge schob er behutsam Agnetas Füße zur Seite und setzte sich neben sie. Er war ahnungslos und einigermaßen glücklich. Dann sah er, dass seine Frau eine Schrift der staatlichen Lebensmittelkontrolle gelesen hatte. NEUE BLEIVERGIFTUNG DURCH GRIECHISCHE KERAMIKGLASUR lautete die Überschrift. Er griff nach der Drucksache, legte eine Hand auf das Schienbein seiner Gattin und dachte an Herrn D. in der Kommodenschublade. Dann begann er zu lesen.
    »Zum dritten Mal in weniger als zwei Jahren ist es in

Weitere Kostenlose Bücher