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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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sehen durfte. »Sssch, nicht du das sagen …« Er wollte sie streicheln, reichte jedoch nur an ihre Haare heran. Sie roch nach Schlaf und wilder Beute.
    Schwer zu sagen, wie lange das Paar so stand, eng zusammen und trotzdem weit voneinander entfernt. Aber das Wasser war verkocht, als Jannoula anfing zu quengeln. Dann putzte Jannis sich die Zähne und ging zur Druckerei. Der eine Arm hing herab wie ein Stück Fleisch.
    (1) Jannis hatte manchmal den Eindruck, dass es in Agneta etwas gab, was sich von Schwellungen und Wunden angezogen fühlte, vermochte jedoch nicht zu sagen, ob das bloß Zufall war. Es kam vor, dass sie beinahe zärtlich über die Blutergüsse eines Eishockeyspielers sprach, andächtig über einem blauen Fleck verharrte. Nicht der Schmerz selbst war verlockend, so viel begriff er, sondern der Zustand danach. Schenkte er ihr vielleicht Geborgenheit? Eine Woche, nachdem sie mit Jannoula aus dem Krankenhaus heimgekehrt war, hatte sie vor dem Spiegel gestanden und ihre Tränensäcke betrachtet. Vorsichtig hatte sie die Hautpartien berührt. Sie waren grau, fast pflaumenlila. Man sah den Schlafmangel, das Glück, die Erschöpfung. Als sie sich nach dem Kamm streckte, lächelte das Spiegelbild auf eine Art, die nicht zu einer Mutter passte. Unter dem nur locker geschlossenen Bademantel lugte eine Brust heraus. Zwangsläufig musste er an ihre Brustwarzen denken, die groß und empfindlich waren und abwechselnd nach Blut und Süße schmeckten, als sie ihn ein paar Nächte später bat, sie zu berühren, obwohl sie schmerzten. Es gefiel ihm nicht, es kam ihm falsch vor, aber sie meinte, sie wolle nicht die ganze Zeit Mutter sein. Jannis, der es nicht besser wusste, fragte sich, ob die Freunde seiner Frau deshalb meist Sportler gewesen waren. Dieser Hang zu Schwellungen. Diese Zärtlichkeit.
    Der Gedanke kam ihm erneut in den Sinn, als er nach Hause kam, nachdem er eine Stunde vergeblich an einer verlassenen Bushaltestelle gewartet hatte und Agneta mit einem hochgelegten Fuß auf der Couch antraf. Sie erzählte, dass sie mit dem Fuß umgeknickt war und deshalb nicht wie verabredet an der Haltestelle auf ihn hatte warten können. Es lag etwas Abwesendes in ihren Worten, als wären sie gar nicht für ihn bestimmt gewesen. Als er behutsam mit den Händen ihr Bein unter Wade und Ferse anhob, um sich zu vergewissern, dass nichts gebrochen war, stöhnte sie lustvoll. Jannoula lag auf einer Decke auf dem Fußboden. Während er mit dem Kind spielte, zog seine Frau das Knie an die Brust und streckte das Bein anschließend wieder, vor und zurück. Sie lächelte in sich gekehrt. In diesem Augenblick wusste er, dass er die Frau auf der Couch nicht kannte. Sie schien ihr Umknicken als eine Auszeichnung zu betrachten. Auf unerklärliche Weise kündigte ihr Verhalten eine Bedrohung an. Er dachte: Wie viel Gleichgewicht erträgt eine Waage?
    (5) »Weißt du was …« Agneta wühlte auf der Suche nach den Schlüsseln in ihrer Handtasche. »Vor ein paar Tagen habe ich das hier bekommen.« Sie reichte ihrem Mann einen zusammengefalteten Zettel. »Möchtest du hingehen?« Jannis stellte den Besen weg, faltete das Blatt auseinander, begann zu lesen. Als ihm ins Auge fiel, wer den Vortrag halten sollte, schüttelte er den Kopf. Ein anderes Mal vielleicht. »Also nicht«, sagte seine Frau. »Macht es dir etwas aus, wenn ich gehe?«
    Und schließlich (6). Die Liebe? An einem Septemberabend war Jannis mit seiner Tochter allein zu Hause. Es regnete. Er dachte:
    Für mich ist sie immer etwas in der Zukunft gewesen.
    In der Zukunft?
    Vielleicht das zweite Stück eines abgebrochenen Mandelzweigs.
    Mandelzweigs?
    Der Tod?
    Der Tod?
    Der Tod ließ mich erwachsen werden.
    Erwachsen?
    Der Wille, mehr zu sein als man selbst.
    Man selbst?
    Undenkbar ohne das Zicklein.
    Das Zicklein?
    Das Mädchen in meinen Armen. Sie ist alles.
    Alles?
    Brei, Licht und Magenkrämpfe. Nullpunkt. Schnee unter schuppiger Haut. Astronautin in gestrickten Strampelanzügen. Pinkelnder Engel. Kräftiges Gras.
    Gras?
    Möglicherweise der Grund, warum ich mein Heimatdorf verließ.
    Heimatdorf?
    Dem Himmel so nah, dass man sich die Stirn blutig schlug.
    Blutig?
    Sind das nicht alle?
    Das?
    Weiß nicht. Ein Kloß im Hals? Ein Steinchen im Schuh? Verspätete Tränen?
    Tränen?
    Eine andere Art Regen.
    Regen?
    Das Ungezügelte.
    Das Ungezügelte?
    Zufälle.
    Zufälle?
    Woraus ich gemacht bin, wenn ich nur ich selbst bin.
    DER SCHWEDISCHE HERAKLES . An jenem Abend, an dem

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