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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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bleibt«, gab es dort eine schwer auszusprechende Stadt mit einer orthopädischen Klinik und Chirurgen, die wussten, was sie taten. Dorthin wollte die Schwester kurz nach Weihnachten reisen. Und eines Tages auch Kostas – sobald er die zwei Jahre in Uniform an der Grenze zur Türkei absolviert hatte. Nach den Stunden an jenem Tisch mit dem grünen Filz ahnte Jannis, dass er eines Tages gezwungen sein würde, ihnen zu folgen.
    Bevor die Männer der Pokerrunde aufbrachen, hatte Tsoulas ihm eine Frist von zwei Wochen gegeben. Er brauche das Feld erst nach Neujahr. Jannis hatte gehört, dass Kostas Heimaturlaub hatte, und beschloss, ihn um Hilfe zu bitten. Mit etwas Glück würde der Freund ihm nicht nur Geld leihen, sondern auch mehr über das Land erzählen können, in dem seine Schwester operiert werden sollte, wo es Stechuhren und ein dickes Kuvert am Ende der Woche gab, wo möglicherweise Schnee, aber niemals Kartenspiele Probleme bereiteten und die Länge der Sehnsucht nicht in Generationen gemessen wurde. Nach der Pokerrunde dämmerte ihm, dass es klug wäre, sich darauf vorzubereiten, das zu werden, was Griechen von nah und fern in diesem Jahrzehnt wurden: Gastarbeiter. (Ein Fachbegriff, heute kaum noch gebräuchlich.) Außerdem hatte ihm Stella zugeflüstert, er solle mit Efi sprechen, so lange es noch ging. »Es gibt nur eine Herzdame im Spiel.«
    Deshalb.
    HARTE HÄNDE UND WEICHE. Am Abend des 17. März 1967 wusste Jannis noch nichts von dem Militärputsch, den Oberst Papadopoulos in einer Kaserne nördlich der Hauptstadt plante. So wenig wie seine Gastgeber. Um gebildet zu wirken, blieb er jedoch dabei, Student in Bromölla zu sein, einer Gemeinde im nordöstlichen Schonen, bekannt für die Herstellung von Sanitärporzellan. Manolis begegnete Lilys Blick und entblößte einen Eckzahn. Er selbst stammte von der Westküste des Peloponnes, wo es wenigstens genügend Wasser gab und man die nördlichen Landsleute ein wenig »phantastisch« fand.
    Der Gast legte die Gabel weg, mit der er sein Kanalisationssystem demonstriert hatte. »Kinderträume« seufzte er heiter, als hätte er vor langer Zeit gelernt, über all die phantastischen Dinge im Dasein zu lachen. »Mit den Fragen, von denen ich erzählt habe, ist es das Gleiche. Aber jetzt sollen Sie sehen, Herr Doktor. Ein Kind kann verrückte Ideen haben, ein Erwachsener muss es ernst meinen.« Er schlug den Hemdsärmel hoch. Als er die Hand drehte, rutschte die Uhr am Unterarm herunter. Von der Welt, die er verlassen hatte, war etwas geblieben. »Die Zeit, Herr Doktor. Es ist immer noch mitten am Tag am … Moment.« Er zog das Portemonnaie aus der Gesäßtasche. Zwischen zwei Geldscheinen lag ein Zettel. Wie sich zeigte, stand so einiges darauf, unter anderem 6 фэъ in kyrillischer Schrift. »Das ist Russisch und bedeutet ›Februar‹. Aber Sie sind ein gebildeter Mann, Herr Doktor. Sie wissen das sicher schon.« Jannis lächelte großmütig. »Einen Tag zuvor habe ich Áno Potamiá verlassen. Dann Thessaloniki, Makedonien und Griechenland. Und das ist … siebenunddreißig Tage her.« Er dachte nach. »Großer Gott, fast so viel Zeit, wie man für die Trauer um einen Menschen braucht. Herr Doktor – und Sie Frau Doktor natürlich auch –, hier sehen Sie den Beweis.« Er streckte das Handgelenk vor. »Von dem Stein, mit dem ich die Zeit aufhielt. Ich habe geschworen, die Uhr erst reparieren zu lassen, wenn ich mein geliebtes Heimatdorf wiedersehe. Wann haben Sie vor, Ihr geliebtes Heimatdorf wiederzusehen, Herr Doktor?«
    Lily Florinos, née Seitel 1936, war auch früher schon manchen enthusiastischen und, das soll nicht geleugnet werden, phantastischen Griechen begegnet. Aber das war in Wien gewesen, und es hatte sich um Studenten aus der griechischen Hauptstadt gehandelt, die ihre Gymnasialnoten für den Immatrikulationsantrag zumeist geschönt hatten. (Ein geliehener Bleisatz, ein frisches Stempelkissen und etwas Inspiration sind alles, was man benötigt, um im Nachhinein als Klassenprimus dazustehen.) Nun begegnete sie einem Landsmann ihres Gatten in Schweden, empfand jedoch weder Zweifel noch Befremden. Sondern Zärtlichkeit.
    Zärtlichkeit, in Schweden? Unser Bericht wird noch phantastischere Dinge enthalten. Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass Lilys Gefühl, das im Übrigen nicht frei von Bewunderung war, dazu führte, dass sie einverstanden war, als ihr Mann sie fragte, ob der Gast die Nacht im Keller verbringen könne. Es war ein heikles

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