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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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Thema. Als sie Manolis zwölf Jahre zuvor in Wien kennengelernt hatte – er ein schwarzbehemdeter Grieche mit Tuberkulose, sie eine Österreicherin mit einer Schwäche für abstrakte Muster und rauchigen Jazz –, besuchte sie noch die Kunstakademie der Stadt. Die Lehranstalt lag im britischen Sektor, zwei Häuserblocks von der Wohnung entfernt, in der unser hustender Grieche zur Untermiete bei Frau Prokupa wohnte, der Witwe eines verrückten Majors der Waffen-SS, der an einem der letzten Kriegstage umgekommen war. Nach dem ungeplanten Umzug aus Europas Mitte sowie der Geburt von drei Söhnen, hatte Lily nicht einen Tag und kaum einen Gedanken an geometrische Farbtapeten oder jene schwarzweißen Mobiles verschwendet, die bei jener Ausstellung in einem weiß gekalkten Kellerraum unweit der Universität recht erfolgreich gewesen waren. Mit der Zeit bedrückte sie die Situation jedoch. Im Spätherbst 1966 versuchte sie die Sache mit einem neugeborenen Sohn auf dem Arm zur Sprache zu bringen. Der Moment hätte sicher besser gewählt sein können. Ihr Mann fand, er habe viel zu tun, nicht zuletzt, weil in Lund eine Stelle frei zu werden schien und er Qualifikationen sammeln musste, wenn sie dorthin zurückziehen wollten. Darüber hinaus war ein hungriges Kind wichtiger als alles andere. Kurzum: Er hörte nicht zu. Als die Söhne 2, 3 und 1 zwei Stunden später und in dieser Reihenfolge eingeschlafen waren, stritt sich das Ehepaar folglich zum ersten Mal seit einem grauenvollen Sonntag vor vielen Jahren. Da sie nicht erfahren, geschweige denn verschlagen waren, zankten sie sich nicht nach allen Regeln der Kunst, aber der Abend hatte dennoch einiges zu bieten – berauschende Getränke und gemeingefährliches Adrenalin eingeschlossen.
    Gegen ein Uhr nachts machte Manolis eine übertriebene Bewegung mit seinem Adamsapfel, was bedeuten sollte, dass er den Ärger darüber, dass seine Frau Nachtdienste nicht genauso belastend fand wie Koliken, herunterschluckte. Die sicher nicht ganz aufrichtige Geste sollte verdeutlichen, dass sie gemeinsam eine Lösung anstreben wollten. Sie löschte die Küchenlampe, er rückte mit seinem Stuhl näher zu ihr heran. Eine Hand tastete nach dem Bauch seiner Frau. »Wir machen aus dem Hobbykeller ein Atelier und stellen ein Kindermädchen ein.« Lily gefiel die Dunkelheit zwar, aber es passte ihr nicht, manipuliert zu werden. »Das glaubst du doch selber nicht.« Manolis suchte hinter der frischen Dauerwelle nach einem Ohr. »Ich schwöre es«, flüsterte er und klopfte auf den Bauch seiner Frau. »Sie da drin ist meine Zeugin.« »Sie?« Lily stöhnte. »Kannst du mich nicht ein einziges Mal ernst nehmen?« Trotz ihrer Traurigkeit legte sie ihre Hand auf die ihres Mannes – ein von der Schwangerschaft kurz zuvor bedingter Reflex. Ein Moment verging. Und noch einer. Dann sagte sie: »Meinst du damit, dass du es wieder versuchen willst?«
    In seinem späteren Leben sollte Jannis oft auf die Epoche zurückkommen, die mit diesem ungeplanten Märzabend an einem Küchentisch in Balslöv begann. Er betrachtete sie als einen Aufenthalt in Eden, was zweifelsohne ein Missverständnis war. So behauptete er etwa: »Als ich im Paradies eintraf, herrschte Winter, und meine Schuhe waren aus Leder und Eisen. Ich glitt mit langen Schrammen über das Eis. Plötzlich hatte ich Flügel bekommen. Ich fühlte mich wie … wie … Wie Killi Krafstromm!« Die Aussprache war nicht perfekt, aber seine Bewunderung für den schwedischen Eiskunstläufer konnte niemandem entgehen. Nach diesem Bekenntnis zog er mit dem Zeigefinger durch das Gras, über einen Küchentisch oder einen polierten Holm, was später der Fall war, nachdem er eine Ausbildung zum Sportlehrer absolviert und Perspektiven für sein Dasein gewonnen hatte. »Ich flog dahin wie ein Engel, mit Flügeln, die über die Erde schleiften, geradewegs in den Sonnenaufgang hinein!«
    Verblüfft über sein unverdientes Glück verstummte er daraufhin. Nur manchmal fügte er hinzu: »Für Makedonien gab es danach keine Hoffnung mehr. Niemals hätte ich geglaubt, dass dieses gefrorene Wasser mich festhalten würde. Aber damals fand ich, dass es ein interessanteres Phänomen war als fließendes Wasser. Also beschloss ich, bei Familie Florinos einzuziehen und möglichst viel darüber zu lernen. Der Herr Doktor, Frau Lily und die Kinder … Alle haben mir geholfen. Sogar meine schnarchende mána . Und das war ein Glück.« Hierbei klopfte er mit den Knöcheln auf den

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