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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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kamen zur Sprache. Zum Beispiel das mit dem Magneten. Er meinte, jedes Leben müsse einen haben. Sonst fehle einem ein Mittelpunkt und man zerbreche. Als ich fragte, ob es nicht auch ein Herz tue, wurde er verlegen. ›Eine Faust‹, murmelte er. ›Manchmal gut, manchmal nicht so gut.‹ Er schien zu glauben, dass er mich enttäuscht hatte, aber ich hätte ihn umarmen können. ›Dann sind wir vielleicht verwandt?‹ Das war als ein Scherz gemeint, denn was er gesagt hatte, erinnerte mich daran, was die Frauen daheim immer sagten. Obwohl ich ihm das nicht erzählte. Stattdessen fragte ich ihn, ob er glaube, dass wir uns wiedersehen würden. Daraufhin kniff er mich in die Wange und schrieb das hier.« Jannis schaute auf den Zettel. »Manche kyrillischen Buchstaben sollen offenbar griechische sein. Wie der hier, zum Beispiel.« Er zeigt mit seinem zerkauten Streichholz auf das ф. »Aber der sieht ja aus wie ein Apfel, den man auf einen Souvlakispieß gezogen hat. Der soll griechisch sein? Ich frage ja nur, Herr Doktor.«
    Als er keine Antwort bekam, schüttelte er erneut den Kopf. »Ja, ja, tss, tss. Kauder hatte bestimmt auch Mücken im Kopf. Aber in einem Punkt hatte er Recht: Ohne einen Magneten wäre das Leben nur eine Werkstatt.« Er unterdrückte ein Gähnen. »Sie müssen entschuldigen, Herr Doktor. Es wird langsam Zeit, von Áno Potamiá zu träumen. Möglicherweise auch von Ziegen und von der Kanalisierung. Ein Magnet kann viele Dinge anziehen.«
    DER LETZTE TROPFEN . Trotz dieser Aussichten kam Florinos’ Gast spät ins Bett. Überraschenderweise band sich der Gastgeber eine Schürze um und nahm sich des schmutzigen Geschirrs an. Jannis blieb sitzen. Er dachte an Kostas und Efi, die ihm geraten hatten, einen studierten Eindruck zu machen. »Der Mann hat tausend Bücher gelesen, matia mou . Mindestens tausend.« Meinte Efi. Kostas sagte nichts. Nur: »Wenn du ihn bitten willst, dir bei der Arbeitserlaubnis zu helfen, reicht es nicht zu sagen, dass du aus Áno Potamiá kommst. Da musst du schon mehr zu bieten haben.« »Was redest du denn da?«, antwortete Jannis. »Er ist doch Grieche, oder?« Während sein Gastgeber nun mit methodischen, fast melodischen Bewegungen abspülte, dachte der Gast über die Stunden in der Chirurgischen Praxis nach. Er hatte sich geschworen, nicht zu gehen, ohne den Doktor getroffen zu haben, obwohl er nicht wusste, wie er auf den fragenden Blick der Schwester reagieren sollte und obwohl ihm war, als hätte ein Tier ein Loch in seinen Bauch genagt. Die Begegnung war jedoch besser verlaufen, als er zu hoffen gewagt hatte, und nun saß er – entgegen der Annahme seiner Freunde, entgegen seiner eigenen – in der Küche des Landsmannes.
    Dennoch erkannte er, dass Kostas Recht hatte. Jannis mochte seine Schwierigkeiten mit Buchstaben haben, aber dumm war er nicht. Florinos hatte studiert. Jeder beliebige Grieche konnte sehen, dass die Auslandsjahre Dinge berührten, von denen die meisten noch nie gehört hatten. Vermutlich wusste er alles über den menschlichen Körper, über die schwedischen Behörden und den Kauf von Haus und Auto. Garantiert auch über das Alphabet. Nur als Beispiel. Jannis dankte seinem glücklichen Stern – einem anonymen Planeten in einer unbekannten Konstellation –, dass er gesagt hatte, er sei Student.
    Mehr als fünf Wochen waren vergangen, seit er von seinem Heimatdorf Abschied genommen hatte. Am letzten Tag war er nach der Siesta mit zerzausten Haaren und einem schmerzenden rechten Arm aufgewacht, weil er darauf gelegen hatte. Nach der Rasur hatte er seine neue Gabardinehose angezogen. Ein paar lose Fäden verrieten, dass Frau Poulias sie erst kürzlich geliefert hatte. Auf die Hose folgten Strümpfe und Hemd, alle braun, sowie die Jacke aus Lederimitat. Er glättete das pomadisierte Haar mit einem Kamm, den die fehlenden Zinken aussehen ließen wie eine zahnlose jiajiá. Mit einem Brotstück in der Hand, das er in die Lake des Fetakäses getunkt hatte, ging er zum Marktplatz. Der Bus war gekommen. Der Schaffner mit der zerknitterten Uniform und dem Ledergürtel war nirgendwo zu sehen, aber der Fahrer lag ausgestreckt auf den Kunststoffsitzen ganz hinten, die Schuhe ordentlich auf dem Boden abgestellt, und hatte einen Arm über sein Gesicht gelegt. Er schnarchte leise, mit kleinen, lustvollen Grunzern.
    Nachdem Jannis zurückgekehrt war, setzte er sich eine Weile in den Schuppen unterhalb von Tsoulas’ Feld. Er hatte das Bedürfnis, sich zu sammeln.

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