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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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werden neue Sterne geboren.« Sie warf eine Münze auf den Tisch und verließ das legendäre Kaffeehaus, das zwei Jahrzehnte später verwüstet werden sollte. Erol starrte auf die einladenden Hüften in der engen Hose. Immer noch mit offenem Mund. (Wie gesagt: Er war taub.)
    Am wenigsten gewiss ist allerdings, ob Despina nur zwei Monate später geheiratet hätte. Nach ihrem missglückten Rendezvous im Le Pôle Nord lag sie, geplagt von Moskitos und Östrogen, nächtelang wach. Am Morgen nach der, wie sie sich schwor, letzten schlaflosen Nacht ihres Lebens – hier irrte sie – trat sie das Betttuch von sich und beichtete ihrer Mutter. Sofia bekreuzigte sich und stieß zischende Laut aus, die wie »tss, tss« klangen. Sie war nicht abergläubischer als andere, konnte es sich jedoch nicht leisten, Voltaire zu spielen. Die Laute sollten den Teufel aus den Worten austreiben. Als Despina alles erzählt hatte, befeuchtete ihre Mutter einen Wattebausch mit Kampferspiritus und tupfte die Insektenstiche ab. Diese Maßnahme erlaubte es ihr, den Körper ihrer Tochter zu untersuchen. Sie überprüfte, ob das Mädchen ordentlich wuchs und seine Körperhygiene nicht vernachlässigte oder vielleicht irgendwo wund war, und versprach anschließend, sich Gedanken über das Geständnis ihres Kindes zu machen. Despina solle sich keine Sorgen machen, es reiche, wenn sie, Sofia, dies tue.
    Am Abend saß Despinas Mutter im Schlafzimmer vor dem Spiegel. Sie hatte mit Eleni Vembas gesprochen, die drei Kinder hatte und nach der gelösten Verlobung ihrer ältesten Tochter wusste, wie abenteuerlich Herzen werden konnten. Die Ratschläge der Freundin waren klug gewesen, und Sofia kämmte sich mit nachdenklichen Bewegungen die Haare. Lefteris faltete das Überschlaglaken auseinander, das am Fußende lag. Während seine Gattin die silbrigen Haare in den Borsten betrachtete, ließ sie scheinbar zufällig die Bemerkung fallen, dass es nicht verkehrt wäre, wenn ihre Tochter einen verlässlichen Mann aus der Heimat ihres Gatten kennenlernte. Immerhin waren sie selbst auch nicht viel älter gewesen, als sie sich begegneten. Und im Übrigen hatte Eleni erwähnt, dass ihre Schwester – »Magda, weißt du« – ihren Mann – »Spiros, weißt du« – im Heimatdorf ihres Mannes gefunden hatte – »weißt du«. Lefteris legte sich gerade das Kissen zurecht, als ihm bewusst wurde, was seine Frau da eigentlich sagte. Er fühlte einen stolzen Wellenkamm unter dem Herzen schwellen. Seine Tochter war also im heiratsfähigen Alter. Wenn das so war, hatte Sofia Recht: Es war wichtig, seine Wurzeln zu ehren. Es wäre wirklich das Letzte, wenn Despina etwas mit einem dieser Fladenbrotesser anfinge. Wer wusste schon, welche Kreatur aus einer solchen Verbindung hervorgehen könnte? Auf dem Jahrmarkt hatte er die Kinder mit Schwänzen, die Männer mit Fischschuppen statt Haut und die Frauen mit Bart oder ohne Arme gesehen. Der reinste Zirkus Arnold. Die griechischen Jungen waren zwar auch nicht viel besser, aber sie kamen wenigstens nicht aus Anatolien, das für Lefteris ein weißer Fleck auf der Landkarte war, bevölkert von dreibeinigen Böcken und Hydren. Die Glücksgefühle angesichts des Vorschlags seiner Frau inspirierten ihn mehr als gewöhnlich. Im Grunde lag ihm schon eine Idee auf der Zunge, aber zwanzig Jahre Ehe hatten ihn gelehrt, auf Nummer sicher zu gehen, so dass er stattdessen – geheimnisvoll lächelnd – versprach, die Sache zu überschlafen. In dieser Nacht war es Sofias Los, wach zu liegen.
    Am nächsten Tag kratzte sich ihr Mann die Brust. Dann verkündete er, der Schlaf habe ihm eine Eingebung beschert. Ein Jugendfreund, ein gewisser Jannis Georgiadis, halte sich gerade in der Stadt auf, um Vieh zu verkaufen. Er sei am Vortag in der Bäckerei gewesen, wo er die letzten Neuigkeiten von daheim erzählt habe. Die Männer stammten aus dem gleichen Dorf, einen Tagesritt nördlich von Smyrna. Im Gegensatz zu Lefteris war der Freund jedoch dort geblieben, aber ein Bauer mit festen Gewohnheiten war nicht das schlechteste, was der Herrgott zu bieten hatte, oder? Der Bäcker schob seine Füße in die Pantoffeln. Wenn Sofia einverstanden war, würde er ihn ermuntern, ein wenig länger in der Stadt zu bleiben. Übrigens, fügte er flüsternd hinzu, besitze der Freund nicht nur Tiere, sondern habe darüber hinaus einen Cousin, der in Konstantinopel reich geheiratet habe, und sei zudem bekannt als sterbenslangweiliger, aber rechtschaffener Bursche. Was

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