Der letzte Grieche
gemächlich an der Decke rotierte, in einem unbedachten Moment einem tschetschenischen Jüngling anvertraute. An der Wand hing ein Öldruck von einem Pfeife rauchenden Griechen auf der Krim. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich wie ein Kosmopolit.
Als Sofia Lefteris davon unterrichtete, dass es so weit war, schlug dieser sich die Hände vor die Ohren. Die Luft wurde weiß. Möglich, dass er seiner Frau geglaubt hatte, als sie ihm von der lieblichen Musik erzählte, aber das war nun doch des Guten zu viel. Selbst ein Bäcker konnte zählen. Und wenn er es tat, kam er beim besten Willen nur auf sieben Finger. Eine Schwangerschaft ließ sich doch nicht beliebig verkürzen? Er schob ein neues Backblech in den Ofen und erklärte, ebenso dramatisch wie zuvor, dass er in der Bäckerei zu bleiben gedenke, bis die Frauen der Familie das Problem aus der Welt geschafft hätten. Sofia bekreuzigte sich. Wenn es hier jemanden gab, der Probleme gemacht hatte, war es ja wohl ihr Mann. Wer beklagte sich denn über die Kunden, die ungesäuertes Brot kauften? Wer duldete nicht einmal griechische Jungen in der Nähe seiner Tochter? Und wer hatte die grandiose Idee gehabt, diese Trantüte aus Kalónero einzuladen? Jetzt hatte es ganz den Anschein, als wäre der Schwiegersohn zu allem Überfluss in der Hauptstadt geblieben. »Wahrscheinlich will er für Kolettis die Strichjungen erobern.« Lefteris’ Gesicht wurde immer roter. Er teilte alles mit seiner Frau, auch Schande, aber diesmal stand die Ehre seines Heimatdorfs auf dem Spiel. »Er und ich, wir sind wie Mehl und Wasser. Wie Mehl und Wasser. Ist es vielleicht zu viel von dir verlangt, das zu verstehen?« Seine Stimme zitterte vor Entrüstung. Sofia bekreuzigte sich nochmals. »Wie Mehl und Wasser? Thée mou …«
Kaum zu glauben, aber Herr Talk kehrte zurück – an einem Septembertag mit tief fliegenden Schwalben am Himmel. Als er unweit der armenischen Stadtviertel aus der Straßenbahn gestiegen war und den Weg zurück in die Daphnestraße gefunden hatte, wurde er von einer schlanken und geschminkten Ehefrau empfangen. Da sie ein Kleid trug, erkannte er sie nicht. Als wäre das noch nicht genug, wirkte sie außerdem verblüfft, um nicht zu sagen erschrocken, ihn zu sehen. Vielleicht war es unter diesen Umständen nicht weiter verwunderlich, dass ihre Reaktion sein sechsundfünfzigjähriges Herz zu einem abenteuerlichen Benehmen veranlasste. Es sollte das erste und vorletzte Mal in seinem Leben sein, weshalb wir die Bedeutung des Vorfalls nicht überbewerten wollen. Aber er reichte aus, um ihn ahnen zu lassen, wie sich Traurigkeit anfühlt. Despina war auf seinen Besuch nicht gefasst gewesen. Irgendwie war es ihr gelungen, sich erfolgreich einzureden, ihre Ehe würde verwehen wie Mehl, ohne jemals die Form anzunehmen, zu der sie bestimmt war. Nun zeigten ihre geschminkten Lippen ein gekünsteltes Lächeln. Während sie nach den passenden Worten suchte, betrachtete sie ihren Mann mit einem Blick, den sie nicht schnell genug im Griff hatte. Möglicherweise deswegen regten sich in diesem Moment in ihrem Gatten erstmals Zweifel. Tatsache ist jedenfalls, dass er nie wieder etwas als selbstverständlich hinnehmen sollte. Nicht seine Frau. Nicht die Ehe. Nicht einmal sein eigenes Fleisch und Blut.
Verantwortlich für diesen Blick war Despinas schlechtes Gewissen. Sie hatte heimlich eine Freundin gebeten, Kontakt zu dem-dessen-Name-nicht-genannt-werden-durfte aufzunehmen. Als sie die Tür öffnete, erwartete sie folglich einen reumütigen Türken mit einem auf die Pantoffeln gerichteten Blick. Nun gab sie sich alle Mühe, ihr Gesicht unter Kontrolle zu bekommen, und bat ihren Gatten, einzutreten. Unmittelbar darauf kehrte sie mit einem Jungen zurück, der in Bäckereihandtücher gewickelt war und Talk auf der Stirn zu haben schien. »Ein bisschen früh, oder?« Der frisch gebackene Vater legte die eingepackte Fahrradpumpe mit ihrem Griff aus Walnussholz weg, mit der er seine Frau hatte überraschen wollen. »Das zeigt, dass er auf seinen Vater kommt und in die Welt hinaus will«, meinte Athanassia, die versprochen hatte, auf das Kind aufzupassen, während Despina sich mit Bulut traf. Wie üblich hatte die Freundin auf fast alles eine Antwort. Sicherheitshalber kreuzte sie hinter ihrem Rücken die Finger. »Für manche kann das Abenteuer nicht schnell genug beginnen, meine ich. Wir wissen doch alle, dass die Zeit ein relatives Phänomen ist, Herr Georgiadis.« Der Vater, der
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