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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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Fensterscheiben wurden von Frostblumen geschmückt, das Sonnenlicht war in den Kristallen aufgesaugt worden wie Orangensaft.
     
    Es waren einmal in einem fernen Land
    ein Schweinehirt, ein cooler Typ,
    und eine stolze Jungfrau und Prinzessin.
    Eines schönen Tages trafen sie sich und er sagte …
    Florinos presste zwei längliche Aspirin aus einem silbrigen Blister. Trocken und unnatürlich lagen sie auf der Zunge wie Miniatursarkophage. »Der Fusel, den sie im Alkoholladen verkaufen, hat das Zeug zum Raketenbrennstoff. Mein Kopf fühlt sich an wie ein schwarzes Loch.« Die Tabletten verwandelten alle s zu th . Er leerte die Tasse so nachlässig, dass Wasser auf seinen Bademantel tropfte. Seine Frau saß mit angezogenen Beinen im Bett. An den passenden Stellen brummte sie zustimmend. »Sollen wir ihn ein paar Tage bei uns wohnen lassen?« Jetzt hörte man die s -Laute wieder.
    Lily, die gerade ihrer Mutter in Wien schrieb, hatte andere Dinge im Kopf, als das Atelier einem obdachlosen Griechen zu überlassen. Außerdem musste sie in einer Stunde das jüngste Kind stillen. Wo sich ihre älteren Söhne aufhielten, wusste sie nicht. Wenn er keinen Dienst hatte, war an den Wochenenden Manolis für sie zuständig. Ihr Mann wischte sich den Mund ab. Das grelle Winterlicht, die Schweißperlen, die am Haaransatz kitzelten, die Musik, die nicht aufhören wollte, das Gefühl, die Kopfschmerztabletten säßen noch in der Kehle – das alles, inklusive der fehlenden Aufmerksamkeit seiner Frau, setzte ihm zu. »Ich hätte nichts dagegen, ein bisschen Griechisch zu sprechen. Sonst trocknet meine Zunge noch aus.« Er versuchte sich zu erinnern, wann er sich zuletzt in seiner Muttersprache unterhalten hatte. Abgesehen von sporadischen Gesprächen über schlechte Telefonleitungen, musste dies während seiner Studienjahre in Wien gewesen sein. »Ich verspreche dir: Er zieht aus, sobald es mir gelungen ist, ihm eine Arbeitserlaubnis zu besorgen.« Manolis ging zum Radio –
     
    Du bist ein Frechdachs, bekommst kein Gold
    Aber ich will trommelommeln auf deinem Topf.
    – und schaltete es aus. Die Stirn an die Fensterscheibe gepresst, blieb er stehen. Das Glas war feucht, die Kühle angenehm. »Übrigens …« Nein, es war besser, ihr erst später von der ausgeschriebenen Stelle zu erzählen. »Übrigens könnte er beim Schneeschaufeln helfen. Hast du gesehen, wie viel diese Nacht dazugekommen ist? Gamó tin panajía , dass ich den Wagen nicht reingefahren habe. Er wird nie wieder anspringen.« (Entschuldigung, wir haben vergessen zu erzählen, was der Fluch bedeutet. Sagen wir, es geht in ihm um maskuline Endungen und Jungfrauen.) Lily brummte erneut, diesmal jedoch fragend. Manolis sah sie an. »Weißt du, die Kinder werden ihn sicher mögen …« Letzteres gab den Ausschlag.
    Als der Gast an diesem Samstag um kurz nach neun aus dem Keller kam – in einem aufgeknöpften Hemd, in Strümpfen, in guter Verfassung –, saßen Florinos’ älteste Söhne am Küchentisch. Die Füße des jüngeren steckten in Gummistiefeln, die des älteren in Mokassins. Misstrauisch beäugten sie den Fremdling, der mit muskulösen Gesten seine Haare glattzustreichen versuchte. Er setzte sich auf den gleichen Stuhl wie am Vorabend und kratzte sich unwillkürlich an der Hand. »Frühstück?« Methodisch bestrich er zwei Brotscheiben mit Butter, belegte sie da und dort mit Wurst und schnitt sich mit dem Brotmesser ein großes Stück Käse ab. »Dafür gibt es den Käsehobel«, fauchte der Ältere. Der Jüngere schlug die Füße gegeneinander. Er kaute mit knisterndem Mund. Smacks und Milch. »Wie heißt du?«
    Jannis schnitt sich noch ein Stück Käse ab. »Jannis. Und du?« »Theodoros, natürlich. Aber ich werde Theo genannt.« »Anton«, sagte der Ältere, der Antonis getauft war, aber ebenfalls die schwedische Form vorzog. »Dafür gibt es den Käsehobel«, wiederholte er. »Wisst ihr was?« Der Gast wusste nicht recht, was ein Hobel sein könnte. »Gibt Ziege im Keller.« »Gibt was ?« Theo kicherte, sein Bruder stieß ihn an. »Was denn für eine Ziege?«
    Statt zu antworten betrachtete Jannis, amüsiert den Kopf schüttelnd, seine Finger, als gehörten sie ihm nicht. Nach dem Frühstück nahm er die Jungen mit ins Atelier hinunter. Anton ging wie zur Probe, Theos Füße quakten unbekümmert. Der Gast zeigte ihnen, wo Maja sich während einiger Minuten zwischen Schlafen und Wachen befunden hatte. »Gibt Ziege«, wiederholte er. Die Kinder, die es nicht

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