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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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dem neuen Steg an der Badestelle anlegen. Jedes Haus verfügte über fließendes Wasser, und die meisten Toiletten waren mit Sanitätsporzellan aus Bromölla ausgestattet. Manche Haushalte besaßen Duschkabinen im Keller, und einer besaß sogar ein Bootshaus sowie einen Aussichtsturm. Mit Ausnahme von Dreck-Janne, der seit einem Vierteljahrhundert in seiner »Villa« mit Bootshaus aus Hartfaserplatten und einem Aussichtsturm aus Blech und Sperrholz wohnte, nutzten sämtliche Haushalte staatliche Elektrizität. In den meisten standen Telefone aus schwarzem Bakelit mit stoffüberzogenen Schnüren, die sich verdrehten. Außerdem gab es einen gut sortierten Dorfhandel, einen Schrottplatz, ein Bahnhofsgebäude für den Schienenbus, das auch als Postamt diente, sowie einen Sportplatz mit Umkleideräumen, die nach Schweiß, Gras und Liniment rochen. Der Sportplatz lag im Übrigen von Haus Seeblick aus auf der anderen Seite der Eisenbahnlinie.
    Was können wir noch erzählen, ehe es dämmert und eine Brise wie ein Segenswunsch von dem See heranweht, der auch Rövaren genannt wird? Zum Beispiel, dass sämtliche Einwohner zu schlafen schienen, sogar der Besitzer von Villa Natur, der sich Zeitungspapier unter die Kleider gestopft hatte, und nun, eingewickelt in einen Flickenteppich, wie in einem Kokon ruhte. Vermutlich träumte Dreck-Janne von Schnecken und Schmetterlingen und fernen Planeten, während er sicher in seinem labyrinthischen Heim schlummerte. Ja, alle schliefen. Außer Tore Ollén. Wie üblich hatte der Schmied Probleme mit dem Einschlafen. Dabei hatte er nach den Spätnachrichten geduscht, warme Milch mit Wodka getrunken und einige Zeit an einem Bild gearbeitet, das eines Tages einen blühenden Krokus mit dickem Stengel darstellen sollte. Kurz vor Mitternacht hatte er das Licht gelöscht und sein Kissen zurechtgerückt. Doch das hatte wie gesagt nichts genützt. Als Manolis und Jannis eingeschlafen waren und zumindest letzterer von einer Ziege träumte, war Tore Ollén als Einziger im Dorf noch wach.
    EIN PAAR WORTE ÜBER EMIGRATION . Ehe das Dorf wieder auf die Beine kommt, wollen wir kurz etwas über Emigration erzählen. Wenn ein Mensch erwacht, weil er träumt, dass er erwacht – zum Beispiel morgens um halb neun – ist er noch in der Gewalt des Traums. Die beiden Welten kommunizieren miteinander wie offene Gefäße. Wo das offenkundig Unmögliche aufhört und das beruhigend Wirkliche anfängt, lässt sich ebenso wenig sagen wie, warum Maja, von der man geträumt hat, einem weiter die Hand leckt – obwohl einem bewusst ist, dass man sich in einem fremden Keller in einem Land befindet, das über Waschbecken und Badewannen verfügt.
    Im Grunde ist dies der einzige Weg für einen Traum, sich ins wache Leben hinüberzuretten. Die verwegenen Visionen, von denen wir anderen erzählen, sind im Vergleich dazu bloß Schund und Schatten. Ihre Bewegungsenergie zeitigt kaum Wirkung, ihre Schwerkraft gilt nicht mehr. Sie können uns bestenfalls zweideutigen Schutz vor einem allzu klaren Bewusstsein bieten. Ein Albtraum vermag uns zwar noch Stunden später zu erschüttern, aber dabei handelt es sich um Nachbeben in der Seele. Wir wissen, dass wir auf der sicheren Seite sind. Mit einem Traum, in dem wir träumen, dass wir wach sind, verhält es sich anders: Durch ihn erlangt das Geträumte Zutritt zu unserem wachen Leben. Für wenige Minuten ist alles ungewiss, alles offen. Keiner vermag zu sagen, wo die eine Welt endet und die andere beginnt, oder ob das Geträumte die Schwelle überschritten hat, ohne dass wir es bemerkt haben, und bleibt, wenn die Pforten zugleiten. Diese Geschöpfe des Schlafs sind die wirklich Heimatlosen. Wollen sie überleben, müssen sie sich vom Bewusstsein fernhalten. Trotzdem trocknen sie mit der Zeit aus wie angeschwemmte Quallen. Rettung gibt es für sie nur, falls wir in den wenigen Minuten, während derer die Welten ineinanderfließen, noch einmal einschlafen, denn dann können diese Kreaturen zu jenem Vergessen zurückkehren, das dem Schlafe eigen ist.
    Diese Regel gilt auch für Ziegen. Insbesondere morgens um halb neun. Und wenn ihr Fell abgewetzte Stellen aufweist.
    ARBEITSERLAUBNIS . »Er ist sicher kein Platon, kann aber trotzdem viel. Und was er nicht beherrscht, wird er bestimmt lernen.« Manolis kehrte mit einer Tasse Leitungswasser ins Schlafzimmer zurück. »Sogar das Alphabet …« Dem Radio entströmte blecherne Musik, ein kürzlich populär gewordener Schlager. Die Ecken der

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