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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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spritzte. Zitternd und unsicher – Jannis traute dem Untergrund nicht – packte er Anton am Arm. Theo erzählte, dass Ingemar Nyberg im letzten Winter mit dem Traktor hinausgefahren war und ein Eishockeyfeld freigeräumt hatte – so stabil war das Eis, wie Asphalt –, während »Dreck-Janne« aus irgendeinem Grund, den keiner begriff, versuchte hatte, ihn zu verjagen. Etwa hundert Meter von der Badestelle entfernt sahen sie einen Mann auf einem Schemel. »Dreck-Janne?«, fragte Jannis erwartungsvoll. »Ach was, das ist nur Onkel Ado. Er pilkt.« Als Theo erkannte, dass der Grieche ihn nicht verstand, fuhr er fort: »Na schön, er angelt.« »Tss, Jannis vielleicht ist Außenländer, aber vielleicht nicht ist dumm.« Beim Lachen schmerzte die trockene Luft in seiner Brust. »Das doch ist Eis, da in der Mitte!«
    »Komm, schau es dir an.« Die Kinder liefen zu dem Kollegen ihres Vaters. »Man bohrt einfach ein Loch!« Der Grieche weigerte sich immer noch, ihnen zu glauben. Als er jedoch das Werkzeug neben dem Loch sah, an dem von Reppe mit auf und ab ruckender Hand saß, studierte er es voller Bewunderung. Wenn ihm ein solcher Bohrer zur Verfügung gestanden hätte, wäre die Revolution schon vor langer Zeit nach Áno Potamiá gekommen. Aufgewühlt nahm er einen Schluck aus der Thermoskanne, die ihm der Freiherr reichte. Der Kaffee war dünn und schmeckte nach Alkohol. »Ich hab’s!« Mit flinken Schlittschuhschritten glitt Anton zur Badestelle. Hinter den Bäumen erblickte man schemenhaft das Gebäude aus Dachpappe und Hartfaserplatten, das von seinem Besitzer Villa Natur und von allen anderen Müllkippe genannt wurde. (Die einzige Ausnahme bildete der Lokalreporter Stig Nord, der ihm einen Artikel mit der Überschrift SUPERBAU ! gewidmet hatte.) Der Junge formte mit den Füßen einen Pflug, zerrte am Reißverschluss und pinkelte neben das Schilf. »Ja!«, schrie sein Bruder. Als Jannis sie eingeholt hatte, lagen sie schon auf den Knien, die Hände beidseits der dampfenden Fläche aufgesetzt. »Da«, »Still …«, »Da!«, »Sei doch still.« Wenn sie sich still verhielten, erklärte Theo, würden sie die Fische in ihren Strickjacken vorbeischwimmen sehen. »Warum kannst du nicht einfach mal still sein?« Anton knuffte seinen Bruder so, dass der seinen Handschuh in den Urin setzte.
    Jetzt war auch Jannis bereit. Feierlich zog er seine Stiefel aus und schob die Füße in die Schlittschuhe, die er im Heizungskeller gefunden hatte. Sie gehörten Manolis und waren unbenutzt. Sowie eine Nummer zu klein. Deshalb hatte er darauf verzichtet, Wollsocken anzuziehen, so dass sich seine Füße eiskalt und plump anfühlten, als er vom Schlitten herabglitt. Und auf der Stelle hinfiel. Umständlich bewegte er sich hinaus. Er war weiterhin überzeugt, dass dies der richtige Tag für seine ersten Eiskünste war, hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass es so schwer sein würde, Schlittschuh zu laufen. Nach einigen schmerzenden Schritten fiel er erneut. Erstaunt über seinen Sturz stand er auf und fiel wieder hin. Eis war ein bedeutend eigensinnigeres Phänomen, als er angenommen hatte. Als Jannis noch eine Weile gefallen und wieder aufgestanden war, stellte er fest, dass es besser klappte, wenn er die Schoner abnahm. Danach bewegte er sich auf den See hinaus. Mal ging er, mal torkelte er stolz wie auf eingegipsten Beinen, und von Zeit zu Zeit wischte er sich den Schweiß aus der Stirn, wobei ihm der Puls mal hier, mal da im Körper pochte. Aber auch wenn seine Fußknöchel mit jedem neuen Schritt wunder wurden, auch wenn sein Kopf dampfte und die Handschuhe kalt waren, auch wenn die Knie, der Po und der Rücken schon bald nass wurden, breitete sich die Freude immer weiter aus – bis in seine Finger und durch die Beine bis in die schmerzenden Füße. Hundertfünfzig Meter weit auf dem Eis drohte sie, seine Lunge platzen zu lassen. »Killi«, stöhnte er und fiel, den Blick gen Himmel gerichtet, auf die Knie. »Wenn du mich jetzt nur sehen könntest.«
    Er kratzte mit dem Schoner, bis der Schnee verschwunden war und das Eis nicht mehr glatter wurde. Hier und da sah man Luftblasen, die Weintrauben ähnelten. Als die Sonne an seinem dritten Tag in Eden aufging, presste Jannis im selben Moment die Lippen auf das gefrorene Wasser. Es war Liebe auf den ersten Blick.
    AUSSENLÄNDER »Es heißt Aus- und nicht Außenländer. Nein Aus- habe ich gesagt.« Später am gleichen Tag trat Anton gereizt seine Wollsocken von den Füßen. Er fror,

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