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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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grinste, erklärte Efi, die aktive Hand zeige, wohin man unterwegs sei, die passive dagegen, wo man gewesen sei. Ihr Freund, dem es nicht passte, dass man über ihn sprach, als wäre er der Mittelpunkt von etwas, sei es nun aktiv oder passiv, beugte den einen Daumen zum Unterarm. »Das kann ich auch«, meinte Kostas, der nicht einmal halb so weit kam. »Du musst wirklich aus allem einen Wettstreit machen«, stöhnte Efi. »Bitte, darf ich mir deine rechte Hand ansehen?« Aber als sie Jannis’ manus dexter zu nehmen versuchte, vergrub er sie in der Hosentasche. »Mein Gott, können Jungen dumm sein.«
    Die linke Kniescheibe (patella sinistra). Oder vielmehr die helle Verhärtung darunter in der Form eines Bassschlüssels. Damals hatte die Wunde eitergefüllt, gelblich und kränklich geschimmert. Seither wuchsen auf der rauhen Oberfläche keine Haare mehr. Der schneckenförmige Kringel war exakt zwölf Jahre plus ein paar Wochen alt, als Jannis in Balslöv eintraf, denn er war an dem Tag entstanden, der ihn zu einem Teenager machte. Aus Gründen, an die er sich nicht mehr erinnerte, hatte er mit seinen Kameraden hinter der Weinhandlung gespielt, zwischen den Holzkisten mit den leeren Flaschen, die gegen eine Wand gestapelt standen und auf den fix-Lastwagen warteten. Thanassis schlug vor, eine der Kisten in den Teil des Dorfs mitzunehmen, der als der obere bezeichnet wurde, wo sie die Flaschen vor der Kirchenmauer aufreihen konnten. Kaum hatten die Kinder begonnen, Steine zu werfen, entdeckten sie, wenn einer einen Volltreffer landete und die Stelle traf, an der das Etikett saß und das Glas am dicksten war, explodierten die Behältnisse in einer Sternschnuppe aus braun getönten Splittern. Auch Treffer am Flaschenhals konnten hübsch sein. Während der Stein zwar den Winkel, aber kaum sein Tempo änderte und gegen die Wand schlug, dass der grauweiße Putz rauchte, schoss eine Scherbe – manchmal so groß, dass sie als Ring benutzt werden konnte, wenn man sie denn wiederfand – in einem hohen Bogen in die entgegengesetzte Richtung. Einmal fing das Glas dabei einen Strahl der Abendsonne ein, der sich mit dem braungrünen Farbton vermischte und wie ein kometenhafter Nachhall zurückgesandt wurde – ein nicht unvorteilhafter Effekt, den das Geburtstagskind, seltsam gerührt, bewunderte.
    Die Spiegelung führte dazu, dass er den alten Tsoulas als Letzter entdeckte. Der Vater von Thanassis eilte schnaufend, mit einem Gesicht wie eine überreife Tomate, den Hang hinauf. Auf einem Fuß hüpfend zog er den Schuh vom anderen und lief humpelnd und gleichzeitig zielend weiter. Inzwischen war auch das Geburtstagskind aus seiner Trance erwacht und lief den Kameraden hinterher. Da er zugleich aber gespannt war, was mit dem Schuh geschehen würde, der durch die Luft flog, drehte er sich um – und stolperte. Statt sich mit den anderen hinter dem Sockel zu verbergen, auf dem im Krieg das Maschinengewehr der Regierungstruppen gestanden und ein Terrain ohne die geringste strategische Bedeutung bewacht hatte, taumelte er den steilen, von Gestrüpp und Disteln bewachsenen Hang hinunter, an dessen Fuß der Friedhof begann. Es dürfte ein Sturz von zehn, vielleicht auch zwölf Metern gewesen sein. Als er wieder zum Leben erwachte, lag er mit dem Kopf in Efis Schoß und konnte sein Bein nicht bewegen. Das Knie blutete stark, Efi summte ein ausländisches Lied. Aber er wusste, wo er sich befand, und war glücklich. Das Knie gegen die Rückseite des Grabsteins seines Vaters gedrückt, versuchte er in den Gesang der Freundin einzustimmen.
    Die Lachgrübchen (Medizinischer Fachausdruck? Egal.) Bei Jannis saßen die Lachgrübchen symmetrisch einige Zentimeter unterhalb der Augen und beiderseits in gleicher Entfernung vom Nasenrücken. Als er mal wieder mit Efi an dem Kastanienbaum war, drehte er sich um und sah ihr in die Augen. Sie glänzten wie Oliven. Die Tochter des Postmeisters von Neochóri sagte kein Wort, begegnete nur, ruhig und unwiderstehlich, dem Blick des Dreizehnjährigen. Nach einer Weile spürte er die kribbelnden Mücken. Dennoch sah sie ihn weiter an, so unergründlich wie zuvor. Schließlich presste sie die Zeigefinger auf die Vertiefungen: »Ich wusste es … Sie passen perfekt.«
    EIN WEITERER SCHWARM . Es folgen noch ein paar Mücken:
    »Wie weit in einem anderen Menschen ende ich?«
    »Ende ich jemals?«
    »Warum hat Efi angefangen, beim Gehen die Hüften zu schwingen?« (Dies war eine jener Fragen, bei denen Despina

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