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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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sich an die Brust gefasst hätte, wenn sie ihr zu Ohren gekommen wären. Was jedoch niemals geschah. Übrigens sah man die Lachgrübchen, als Jannis fragte.)
    »Weiß sie, wie sich mein Spatz fühlt?« (Despina: » Óch, óch …«)
    »Kann Licht jubeln?«
    »Die Augen haben doch keinen Grund?«
    Und dann die bisher längste Frage in seinem dreizehnjährigen Leben:
    »Wenn sie mich so ansieht, als hätte sie alle Zeit der Welt, und ihre Finger auf meine Wangen drückt, wenn es sich anfühlt, als würde sie mich aufschließen und die Oliven sich verkriechen wie zwei kleine Mäuse, wenn sie ihre Füße in meine Beine hineinsteckt, ihre Arme in meine schiebt und den Kopf dreht, bis sie durch den Hals geschlüpft ist und ihr Gesicht in meins eingepasst hat, ja, wenn sie es auf irgendeine mystische Weise so angestellt hat, dass sie viel mehr in mir als außerhalb von mir ist – wer lacht dann, sie oder ich, weil es im ganzen Körper kitzelt wie von Millionen verrückter Stiche?«
    ERGÄNZUNG . Wenn wir es recht bedenken, müssen wir besagte Liste noch um einen Punkt ergänzen:
    Die äußere Deckschicht des Körpers (epidermis). Eines Tages, auch er im unvollendeten Teil der Vergangenheit, spielte Jannis am Fluss Verstecken. Efi und Kostas waren wieder zu Besuch. Ohne sich etwas dabei zu denken, versteckte er sich in dem hohlen Kastanienbaum. Kostas, der lange und gründlich suchte, fand am Ende sämtliche Spielkameraden – Thanassis, Christos, Stella, Elio, seine Schwester … Alle außer Jannis, der wie vom Erdboden verschluckt war. Nicht einmal, als die anderen Kinder Kostas halfen, das Gebiet zu beiden Seiten des Flusses zu durchkämmen, gab er sich zu erkennen. Karamella trat aus ihrem Haus, schüttelte jedoch den Kopf. Erst als die Sonne hinter den Bergen verschwand und Efi rief, dass Jannis sich doch hoffentlich nichts getan habe, zwängte er sich lachend vor Glück und Schmerz aus dem Baum. Sein ganzer Körper war von Mückenstichen übersät.
    NEIN, NEIN? »Wie ich sehe, gibt es einen neuen Mann im Haus.« Agneta Thunell hatte das Wochenende daheim in Tollarp verbracht. Jetzt schob sie die Schultern hoch, um sich zu kratzen, während sie mit den Händen nach den Besteckteilen suchte, die unter dem Schaum in der Spüle übriggeblieben waren. Durchs Fenster beobachtete sie den Fremdling, der tat, als fahre er den Zodiac. Nach einer Weile stieg er aus dem Auto und ging in die Hocke. Er schien die Winterreifen zu bestaunen. Das Kindermädchen ließ das Spülwasser ablaufen. Als sie sich zu Lily umdrehte, die den jüngsten Sohn fütterte, rümpfte sie die Nase. »Ich schätze, er ist Grieche.«
    Agneta war in Tollarp mehreren Ausländern begegnet. Obwohl »begegnet« vielleicht etwas zu viel gesagt ist, wenngleich sie das Wort benutzte, als das Ehepaar Florinos sie kurz vor Weihnachten zu einem Bewerbungsgespräch mit anstrengenden Kindern und streikender Waschmaschine einlud. »Man begegnet ihnen ja ständig. Sie arbeiten alle in der Saftfabrik.« Sie nahm sich noch eins von den Vanillekipferln, die Lily aufgetragen hatte. Sie blieben am Gaumen kleben, schmeckten aber wie ein ganzer Haselnussstrauch. »Wenn sie im ICA einkaufen waren, wo ich gearbeitet habe, haben wir immer geraten, wo sie herkommen. Wenn einer ungesäuertes Brot haben wollte, war er Araber. Darauf könne man Gift nehmen, hat Berit gesagt. Die Italiener haben jedes Mal Tomaten gekauft. Und dann haben sie so gemacht, wenn sie meinten, sie wären frisch.« Drei bepuderte Fingerspitzen wurden zu einem gespitzten Mund gehoben. »Am wenigsten erfuhr man, wenn jemand nur Knoblauch kaufen wollte, denn den kauften alle.« Abgeleckte Finger, Lachen, plötzliche Unsicherheit. »Aber am schlimmsten war es, wenn die Ausländer mit einem ausgehen wollten. Wenn man nein gesagt hat, dann haben sie getan, als würden sie einen nicht verstehen. Ich musste doch an Bengt denken und auch noch an ein paar andere Dinge …« Agneta wurde nachdenklich, vielleicht auch, weil Manolis und Lily sich ansahen. »Ich werde mal hören, ob Ingemar sich die Waschmaschine anschauen kann«, entschuldigte sich der Doktor. »Könntest du Fräulein Thunell die Kinderzimmer zeigen?« Als die Frauen zu dem Geschrei im ersten Stock hinaufgingen, korrigierte das zukünftige Kindermädchen seine Aussage. Es gebe zwar viele Gastarbeiter in Tollarp, aber die Griechen seien wirklich ganz anders. Sie verstünden nämlich, dass ein Nein auch auf Schwedisch nein bedeute. »›Nein, nein‹, haben

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