Der letzte Joker
Gräfin bedachte das Mädchen mit einem flüchtigen Blick – einem sehr merkwürdigen Blick. «Tatsächlich?», meinte sie kühl.
«Ein sehr glückliches Zusammentreffen, dass sie zufällig auftauchte», meinte der Superintendent lächelnd.
Die Gräfin seufzte und schloss wieder halb die Augen. «Seltsam, aber ich fühle mich immer noch sehr schwach.»
«Das ist doch verständlich!», rief Bill. «Ich bringe Sie auf Ihr Zimmer! Bündel wird Ihnen helfen.»
«Sehr liebenswürdig von Lady Eileen», sagte die Gräfin, «aber ich wäre lieber allein. Es geht mir wirklich schon wieder besser. Vielleicht helfen Sie mir nur die Treppe hinauf?»
Sie erhob sich, nahm dankbar Bills Arm und verließ, sich auf ihn stützend, die Bibliothek. Bündel folgte ihnen bis in die Halle hinaus. Während sie noch dastand und die schlanke Gestalt der Gräfin bewunderte, wie sie mit Bills Hilfe entschwebte, erstarrte sie plötzlich. Das Neglige der Gräfin war – wie bereits erwähnt – sehr dünn –, nur ein Hauch aus orangefarbenem Chiffon. Darunter zeichnete sich direkt unter dem rechten Schulterblatt ein kleiner Leberfleck ab. Bündel sah ihn ganz deutlich.
Mit einem unterdrückten Schrei drehte sie sich zu Superintendent Battle um, der gerade aus der Tür zur Bibliothek trat. Jimmy und Loraine standen schon in der Halle.
«So», begann Battle, «die Terrassentür ist abgeschlossen, draußen steht ein Mann Wache. Diese Tür werde ich auch abschließen und den Schlüssel einstecken. Morgen werden wir den Tathergang rekonstruieren… was ist denn, Lady Eileen?»
«Ich muss Sie sprechen, Superintendent Battle, sofort!»
«Warum? Ich…»
Plötzlich tauchte George Lomax auf, Dr. Cartwright an seiner Seite. «Da sind Sie ja, Battle! Es wird Sie erleichtern zu erfahren, dass O’Rourke nichts Ernsthaftes fehlt.»
«Daran habe ich nie gezweifelt», erwiderte Battle.
«Ich habe ihm eine Spritze gegeben», sagte der Arzt. «Morgen früh wird er aufwachen wie immer. Vielleicht mit ein bisschen Kopfschmerzen, vielleicht auch nicht. Und jetzt, junger Mann, wollen wir mal die Schusswunde an Ihrem Arm untersuchen.»
«Kommen Sie, Schwester», sagte Jimmy zu Loraine. «Kommen Sie und halten Sie den Spucknapf oder meine Hand. Sehen Sie einen starken Mann leiden!»
Jimmy, Loraine und der Arzt gingen zusammen weg. Bündel warf beschwörende Blicke in Battles Richtung, der von George Lomax festgenagelt wurde. Der Superintendent wartete geduldig, bis sich in Lomax’ Redefluss eine kleine Stockung zeigte, und nützte sie geschickt aus. «Könnte ich mit Sir Stanley irgendwo ein privates Wort wechseln? Vielleicht im Arbeitszimmer?»
«Aber sicher», stimmte Lomax zu. «Sicher. Ich hole ihn gleich.» Er eilte die Treppe wieder hinauf.
Battle zog Bündel schnell ins Wohnzimmer und schloss die Tür. «Nun, Lady Eileen, was gibt’s?»
«Es ist eine sehr lange und komplizierte Geschichte.»
So knapp sie konnte, berichtete Bündel von ihrem Aufenthalt im Seven Dials Club und ihren dortigen Abenteuern. Als sie geendet hatte, holte der Superintendent tief Luft. Ausnahmsweise war sein hölzerner Gesichtsausdruck einmal verschwunden. «Bemerkenswert», sagte er, «bemerkenswert! Das hätte ich nicht für möglich gehalten, Lady Eileen!»
«Aber Sie haben mir doch den Tipp gegeben, Superintendent Battle! Sie rieten mir, Bill Eversleigh zu fragen.»
«Sehr gefährlich, Leuten wie Ihnen einen Rat zu geben, Lady Eileen! Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass Sie so weit gehen würden.»
«Ist ja nichts passiert, Superintendent! Schließlich liege ich nicht als Leiche auf Ihrer Schwelle.»
«Noch nicht!» Grübelnd stand er da und überlegte. «Wieso Mr Thesiger Sie einer solchen Gefahr ausgesetzt hat, begreife ich nicht», meinte er dann.
«Er hat es erst nachher erfahren. Ich bin doch kein Idiot, Superintendent! Außerdem hat er alle Hände voll zu tun, sich um Miss Wade zu kümmern.»
«Tatsächlich?», sagte der Superintendent. «Aha!» Er zwinkerte ihr freundlich zu. «Dann werde ich wohl Mr Eversleigh einweihen müssen, damit er sich ein bisschen um Sie kümmert, Lady Eileen!»
«Bill!», rief Bündel voller Verachtung. «Aber Sie haben das Ende meiner Geschichte noch nicht gehört, Superintendent. Die Frau, die ich dort sah, Anna! Nummer eins… Es ist die Gräfin Radzky!» Hastig erzählte sie ihm, wie sie sie am Leberfleck wiedererkannt hatte.
Zu ihrer Überraschung sprang der Superintendent nicht so recht drauf an. «Auf einen
Weitere Kostenlose Bücher