Der letzte Karpatenwolf
in die Seite und nickte mit dem halben Körper zu dem langsamer fahrenden Wagen hin.
»Sie kommen tatsächlich. Ist so etwas zu begreifen?«
Der Wagen hielt kurz vor der kleinen Gruppe Sowjetsoldaten. Ein Fahrer, ebenfalls ein Soldat, sah aus dem Führerhaus hinaus und winkte.
»Lager III/M?« rief er. »Los! Abladen! Ich habe noch drei Fahrten!«
Michael schwankte neben dem Unteroffizier auf den Wagen zu. Er biß die Zähne zusammen. In seinen Oberschenkeln und Kniekehlen brannte es wie Feuer. Bei der ersten Kanne, die sie mir anreichen, breche ich zusammen. Hundert Liter Tee liegen dann im Dreck der Straße … für zweihundert Kameraden einen Becher voll …
Er zwang sich, seine Schmerzen nicht zu spüren. Er redete sich ein, stark zu sein. Ungeheuer stark. An der Wagenkante riß er die Arme empor, um die erste Kanne in Empfang zu nehmen, die eines der Mädchen zu ihm hinkippte.
Mit so erhobenen Armen blieb er stehen und starrte ungläubig auf das Gesicht, das ihn unter dem großen Kopftuch ansah. Auch das Mädchen ließ die Kanne los … sie kippte zurück und schlug dem Mädchen gegen das Schienbein. Es spürte den Schmerz nicht … es umklammerte die Henkel der Kanne und schien sich an ihnen festzuhalten.
»Sonja …!« stammelte Michael. Seine Stimme war nicht mehr da … es war nur ein Röcheln, das wie ›Sonja‹ klang. Er wußte überhaupt nicht mehr, was er tat. Später erst sagten ihm der Unteroffizier und seine deutschen Mitgefangenen, daß er plötzlich aufgeschrien habe, tierisch, grell, um sich schlagend, wie ein tobender Irrer. »Sonja!« habe er geschrien. Immer nur »Sonja! Sonja.« Dann sei er auf den Wagen gesprungen, mit einem tigerhaften Satz, und habe das Mädchen an sich gerissen und wie wild geküßt. Und das Mädchen habe »Mihai! Mihai!« gerufen und wäre dann in seinen Armen ohnmächtig geworden.
Er wußte von alldem nichts. Er konnte sich an nichts mehr erinnern. Als er aus der Betäubung, oder was es sonst war, erwachte, lag er neben der Straße auf einem Stück Wiese, neben sich die in einem Halbkreis aufgestellten Teekannen. Sein Kopf lag in Sonjas Schoß, ihre Hände streichelten seine Haare und sein rauhes, stoppelbärtiges Gesicht, und der sowjetische Unteroffizier stand abseits, rauchte und schien sich mehr um den leeren, fertigen Straßenabschnitt zu interessieren als um seinen Gefangenen, der entgegen aller Vorschriften von einem Mädchen geküßt wurde.
»Ich bin in einem Lager, eine Stunde von hier«, sagte Sonja. »Ich arbeite in der Küche. Es geht mir nicht schlecht. Aus Tanescu habe ich zweimal Post bekommen … es geht alles weiter. Nur Jon Lupescu ist weggekommen. Nach Bukarest. Oberst Sumjow wollte es. Er soll ausgebildet werden, um im Süden einen ganzen Distrikt zu übernehmen. Mit Händen und hundert Schreiben und Klagen hat er sich gewehrt. Schließlich wurde er krank und legte sich ins Bett. Hier bin ich sicher, dachte er. Einen kranken Mann läßt man in Ruhe. Was haben die Sowjets getan, glaubst du? Sie sind mit einem Krankenwagen gekommen, haben Jon auf einer Bahre in das Auto geschoben und sind mit ihm nach Bukarest gefahren. Nun wird er doch wohl ein großer Parteimann werden …«
»Und sie haben dir nichts getan? Sie haben dich nicht geschlagen? Du hast nicht gehungert?« Michael tastete über ihr Gesicht, ihre Arme, er streichelte ihren Leib und war so unendlich glücklich. »Sie haben dir wirklich nichts getan?«
»Nichts, Mihai.«
»Alles hast du meinetwegen erlitten, Sonja.«
»Gott wird es uns danken …«
»Gott …?« Er richtete sich auf und starrte auf die Elendsgestalten, die wieder auf ihren wundgescheuerten, blutenden Rücken die großen Steinbrocken aus dem Steinbruch heranschleppten. Atmende Gerippe, mit Stoffetzen behangen, damit man sie als Menschen erkennen konnte. »Er muß sich von uns abgewendet haben … sonst könnte er das nicht dulden!«
»Drei Stunden weiter nördlich ist ein Lager. Dort müssen sie Sümpfe entwässern. Bis zum Bauch stehen die Gefangenen im Schlamm … zehn Stunden lang. Wenn sie umfallen, versinken sie im Sumpf … Ich habe gestern Essen dorthin gebracht … es war schrecklich.«
»Und du sprichst noch von Gott?« sagte Michael bitter.
»Er ist auch bei uns, Mihai.« Sonja legte ihren Kopf auf Michaels Haare und drückte ihn an sich.
»Wie lange noch, Sonja …« Er hob seine aufgerissenen Hände. Seine Arme waren dünn. »Ich hatte Cholera …«
»Und trotzdem lebst du noch«, sagte sie
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