Der letzte Karpatenwolf
gebracht?«
»Natürlich. Aber die Kerle saufen wie die Büffel!«
»Ist die Arbeit zu schwer?«
»Die einfache Norm nur, Genosse Hauptmann.« Leutnant Polkatin schüttelte mehrmals den Kopf.
Die Kommission fuhr ab, und es blieb alles wie bisher.
Am fünften Tag der ›Genesung‹ ließ es sich Polkatin nicht nehmen, Michael persönlich davon zu unterrichten, was ihn erwarte.
»Morgen geht's wieder los«, sagte der Leutnant mit gehässigem Grinsen: »Steinarbeit kräftigt die Muskeln! Über drei Wochen sind deine Kräfte eingerostet gewesen … jetzt werden wir sie wieder schmieren, Freundchen.«
»Warum sind Sie eigentlich so?« fragte Michael. Er lag auf dem Bett, angezogen, gelbblaß und dürr. Der Hals war so dünn wie ein Stiel, und es war verwunderlich, daß er unter der Last des Kopfes nicht umknickte.
»Ihr seid die Feinde des Fortschritts!« sagte Polkatin laut.
»Nennt ihr das Fortschritt, was ihr hier macht?«
Polkatin starrte Michael verblüfft an, dann verließ er das Barackenzimmer und stand eine kurze Zeit sinnend auf dem Gang. Die Gefangenen, die in die Zimmer wollten, drückten sich scheu und ängstlich an ihm vorbei.
Zu dem Unteroffizier, der die Kolonne am nächsten Morgen hinausführte, sagte er: »Den Choleradeutschen stellst du an die Straße …«
»Ich dachte, Genosse Leutnant …«
»Ich denke, du Rindvieh!« schrie Polkatin. »An die Straße zur Beaufsichtigung der Teekessel.«
»Was?« fragte der Unteroffizier, völlig entgeistert.
»Teekessel!«
»Wo sind die denn?«
»Sie werden heute herauskommen! Und dreimal am Tag ist Ausgabe, verstanden. Pro Mann ein Becher voll! Dawai!«
»Genosse Leutnant ist krank«, verkündete der Unteroffizier den anderen sowjetischen Soldaten. Anders war es nicht möglich. Wer so unsinnige Befehle gibt, muß irgendwo im Gehirn einen Wurm haben.
Durch die Arbeitskolonnen war die Sache mit den Teekesseln wie ein vom Sturm getriebenes Feuer gelaufen. Sogar die Zeiten waren bekanntgeworden: Ausgabe Nummer eins um zehn Uhr vormittags … Nummer zwei um drei Uhr nachmittags … Nummer drei um sechs Uhr abends, damit die Truppe leidlich erfrischt wieder im Lager erscheinen konnte. Sogar Blechbecher wurden ausgegeben, als die erste Kolonne beim Morgengrauen ausrückte. Weiß der Himmel, wo die Becher herkamen … sie waren plötzlich da, völlig neu und schön blau.
Mit den Bechern klappernd zog die erste Kolonne aus dem Lager. Sie war in seliger Stimmung. Es gab tatsächlich Tee. Die Becher bewiesen es!
»Det is wie Weihnachten«, sagte einer laut.
Um zehn merkte man an dem Nachlassen des Arbeitstempos und an dem Aufmarsch der schwitzenden und stöhnenden Gerippe in der Nähe der Straße die ungeheure Spannung, die über allen lag … über den sowjetischen Soldaten nicht weniger als über den zerschundenen Gefangenen.
Michael stand am Straßenrand neben dem Unteroffizier. Seine Hände waren aufgerissen, denn bevor er die Wache der Teekessel übernehmen sollte, hatte er noch vier Stunden an der Packlage schleppen müssen. Sein Hemd war zerrissen, seine Hose vom Steinstaub mehlig – über sein stoppelbärtiges Gesicht lief der Schweiß. Es war, als flösse die letzte Körperflüssigkeit aus ihm heraus.
Der russische Unteroffizier sah auf seine Armbanduhr. Zwölf Minuten nach zehn. Er grinste Michael an und kratzte sich den Kopf.
»Nichts! Neuer Nervenkrieg von Genosse Polkatin, was? An die Arbeit, ihr Wanzen!« brüllte er zu den Kolonnen hinüber, die links und rechts der Straße standen, ihre blauen Blechbecher in der Hand. »Robotij, dawai!«
Er wollte gerade seinen Leuten ein Zeichen geben, die Kolonnen wieder zu verteilen, als in der Ferne eine Staubwolke aufquoll. Sie kam näher … Motorengeräusch flog ihr voraus … man hörte Klappern und Holpern über die nur aus Packlage bestehende neue Straße … dann schälte sich ein kleiner Lastwagen aus der Staubwolke, graugrün gestrichen, mit dicken Rädern und einem heulenden Motor.
Die Gefangenen starrten ihm entgegen wie einer überirdischen Erscheinung. Hinten, auf dem Aufbau aus Holz, hockten drei Frauengestalten, gegen den Fahrtwind und den Staub in große Kopftücher eingehüllt. Sie saßen wie Mumien da, regungslos, nur mit dem Wagen schwankend. Vor ihnen blinkten in der grellen Herbstsonne die blankgeputzten Wände von großen Kannen.
Der sowjetische Unteroffizier schob seine Schirmmütze in den Nacken. Über sein breites Gesicht lief ein grenzenloses Staunen. Er stieß Michael
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