Der letzte Krieger: Roman
besprenkelte Nase und Bart mit feinen Tropfen. Obwohl der Regen nachgelassen hatte, reichte Hrodomars Blick selbst von der Ladefläche des Karrens aus nur bis zum Fluss. Außer rauchenden Wagentrümmern gab es nichts zu sehen. Der Drache hatte alles verwüstet, was sich zerschlagen oder verbrennen ließ. Doch gerade war der dunstverhangene Himmel leer. Verbarg sich das Ungeheuer in den Wolken? Oder war es nach Theroia zurückgekehrt?
Hrodomar ertappte sich dabei, das Heft der Axt in seiner Hand zu kneten. Warum drängte er sich auch immer vor, wenn es darum ging, Verantwortung zu übernehmen? Jetzt hatte er die Aufgabe, den Schuss auszulösen. Im richtigen Moment musste er das Seil, das die Schleuder spannte, mit einem Schlag kappen. Gelang es ihm nicht, ging der Schuss fehl. Oder der Mechanismus barst und flog ihnen um die Ohren.
»Malst du dir schon wieder aus, was alles schiefgehen kann?«, fragte Vindur leise.
Manchmal war ihm sein Freund geradezu unheimlich. »Woher weißt du das?«
»So hast du als Kind schon ausgesehen, wenn wir etwas Verbotenes angestellt haben. Du hattest immer Angst, erwischt zu werden.«
»Du etwa nicht?«
»Ich hab aber nicht ständig daran gedacht.«
»Schnauze!«, zischte Gunthigis, ohne den Himmel aus den Augen zu lassen. Er hatte sich selbst zum Schützen ernannt, der über Ausrichtung und Zeitpunkt ihres einzigen Versuchs entschied. Vier weitere Wächter hielten sich vorn an der Deichsel bereit, um auf seinen Zuruf die Neigung des Karrens zu verändern.
Schuldbewusst presste Hrodomar die Lippen aufeinander und lugte zu den beiden Elfen hinüber, die sich ihnen angeschlossen hatten. Die ganze Zeit über hatten sie kein Wort gesprochen, nur genickt, als Athanor ihnen den Plan übersetzt hatte. Dass sich ausgerechnet Davaron bereit erklärt hatte, den Brandspieß zu entzünden, wunderte Hrodomar. Nicht nur er hatte ihn wiedererkannt. Das Auftauchen des einhändigen Diebs hatte erstauntes Raunen unter den Wächtern ausgelöst, doch der Elf würdigte sie auch jetzt keines seiner düsteren Blicke. Er hielt eine gekrümmte Klinge, in deren Knauf ein Stück Sternenglas eingelassen war, und sah fast gelangweilt aus.
Die Frau, die ihnen Athanor als Befehlshaberin der Elfen vorgestellt hatte, suchte dagegen mit strengem Blick den Himmel ab. Schnitte und Blutflecken prangten auf dem Mantel, den sie anstelle einer Rüstung trug. Warum sie so unzureichend geschützt in den Kampf zog, verstanden wohl nur Elfen. Wenn er Athanor richtig verstanden hatte, konnte sie mit ihrer Zauberei dafür sorgen, dass der Schuss auch dann traf, wenn er nicht ganz korrekt gezielt war. Wie sie das bewerkstelligen wollte, war ihm zwar ein Rätsel, aber was verstand er schon von Magie? So viel wie ein Troll vom Schmieden.
Hrodomar wusste nicht, was ihn unruhiger machte – die Verantwortung, der Drache, die Tatsache, dass er sich unter freiem Himmel befand, oder die sieben Ungetüme, die sich vor ihnen aufgebaut hatten. Was wohl der große Trollschlächter Arnrik dazu gesagt hätte, dass sie sich ausgerechnet hinter Trollen verbargen? Ob man ihnen wirklich trauen konnte, würde sich erst zeigen, wenn sie nach dem Kampf Hunger bekamen.
Auf Befehl des Schwarzbärtigen, den Athanor Orkzahn nannte, hatten sie zwei Reihen gebildet und standen versetzt, sodass der Drache nicht zwischen ihnen hindurchsehen konnte. So viel Schläue hätte Hrodomar ihnen nicht zugetraut. Doch jetzt traten sie immer ungeduldiger von einem Bein aufs andere und murrten mit ihren grollenden Stimmen, die an Gerölllawinen erinnerten. Auch Vindur murmelte in seinen kurzen Bart. Kehrte das Ungeheuer nicht mehr zurück? Hockte es auf dem Hügel Theroias und wartete darauf, dass sie so dumm waren, zu ihm zu kommen?
Hrodomars Unruhe wuchs, als die Trolle begannen, ihre Keulen und Speere gegeneinanderzuschlagen. Ja, sie sollten den Drachen anlocken, und doch … Er schluckte. Mit einem Mal wäre er am liebsten davongelaufen und im nächsten Stollen unter der Erde verschwunden.
Die Trolle stimmten ein Gebrüll an, das seinen Magen zittern ließ. Es klang herausfordernd und hämisch, als ob sie den Drachen für seine Feigheit verhöhnten. Lachend machten sie sich gegenseitig auf den dunklen Fleck in den Wolken aufmerksam, der rasch größer wurde. Hrodomar stockte der Atem, als sich die drei vorderen Trolle mit dem Rücken zu ihrem nahenden Feind drehten. Unter lautem Gejohle der anderen hoben sie ihre Fellschurze und zeigten dem Drachen ihre
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