Der letzte Krieger: Roman
Holz war mit angelaufener Bronze beschlagen und kündete von einstiger Pracht. Davaron öffnete ihnen einen der Torflügel, der noch immer genauso in den Angeln knarrte wie an jenem Tag, als Athanor zum ersten Mal mit seinem Vater hierhergekommen war. Das Geräusch vergegenwärtigte ihm den Mann, der das angekohlte, ausgedörrte Bündel auf seinen Armen einst gewesen war. Ein großer, stattlicher König, der keinen Widerspruch duldete und unbezwinglich schien.
Wie damals schritt Athanor durch die Reihen der aufgebahrten Könige und Königinnen hindurch. Auch unter ihnen hatte nicht jeder das Glück eines herausragenden Balsamierers gehabt. Auch hier gab es im Tod entstellte Gesichter, die bewiesen, dass sie der Prunk ihrer Grabstätte nicht vor dem Schicksal aller Sterblichen bewahrte. Weder Brokat noch Samt, weder goldbestickte Banner noch kunstvoll verzierte Rüstungen konnten daran etwas ändern. Alles Gold und Silber, das man ihnen mitgegeben hatte, um sie von den einfachen Toten zu unterscheiden, war unter Staub verblasst.
Athanor bettete seinen Vater auf die leere Bahre neben seiner Mutter. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder war sie so früh an einem Fieber gestorben, dass er kaum noch Erinnerungen an sie hatte. Ihr langes dunkles Haar und das schmale Gesicht deuteten auf eine schöne Frau hin. Hätte sie den König vor dem verhängnisvollen Pakt gewarnt, wie Anandra es getan hatte? Wäre es ihr möglich gewesen, ihn davon abzubringen? Das Leben war voller Fragen, auf die er niemals eine Antwort bekommen würde. Er empfand keine Wut mehr auf seinen Vater. Wenn er auf den geschundenen Leichnam hinabsah, regte sich nur Mitleid in ihm. Am Ende hatte Theroias größter und zugleich gierigster König erfahren, wie klein und machtlos er in Wahrheit war. Athanor ahnte, wie schwer die Schuld am Untergang aller Menschenvölker auf der Seele seines Vaters lasten musste. Vielleicht war es den Menschen deshalb bestimmt, ins Schattenreich zu gehen und sich allmählich aufzulösen. Damit sie nicht in Ewigkeit an ihren Fehlern litten.
Epilog
Die untergehende Sonne spiegelte sich auf dem Teich der Mondsteine in den Gärten Ardareas. Athanor hatte seinen Kopf in Elanyas Schoß gelegt, ihre Finger spielten mit seinem Haar, und er fragte sich, ob die Legenden stimmten, dass der Sommer in den Elfenlanden ewig währte.
»Möchtest du nicht doch lieber eine Maske wie meine tragen?«, fragte Aphaiya, die unweit von ihnen unter den Weiden saß. »Ich höre, wie alle leise nach Luft schnappen, wenn sie dich sehen. Du könntest dir ihre erschreckten, mitleidigen Blicke ersparen.«
»Aber dann sehe ich doch auch nichts mehr«, protestierte Vindur. Er lebte in einem eigenen kleinen Haus mit einem richtigen Dach anstelle einer Baumkrone und kleinen Fenstern, die er mit Läden verschließen konnte, wenn ihn die Angst der Zwerge überkam. Die Narben in seinem Gesicht waren noch immer auffällig rot, und sein Bart wuchs spärlicher nach als zuvor, aber für einen, der nur knapp dem Tod entronnen war, hatte er sich erstaunlich schnell erholt.
Aphaiya lachte. »Ach so, du willst mich auf den Arm nehmen. Mach weiter! Seit ich diese Maske trage, traut sich das niemand mehr.«
»Pah, ich meine es ernst. Ich werde gegen den nächsten Baum laufen und dann in den Teich fallen.«
»Bloß nicht!«, rief Athanor. »Dann muss ich hinterherspringen und ihn wieder rausziehen. Er kann doch nicht schwimmen.«
Elanya und Vindur stimmten ins Gelächter ein. Der Teich der Mondsteine war so flach, dass das Wasser Vindur gerade einmal bis zum Bauch reichte.
»Aber zumindest für festliche Anlässe wie heute Abend wäre eine silberne Maske doch sehr vornehm«, beharrte Aphaiya. »Du könntest sie selbst schmieden – und meinetwegen auch Löcher für deine Augen lassen. Das wird aber überschätzt, glaub mir.«
»Schmieden?«, wiederholte Vindur. »Ich zerstöre den Ruf meines Volks wirklich ungern, aber davon verstehe ich rein gar nichts. Ich bin ein verwöhnter Königssohn, der nur das Kriegshandwerk gelernt hat.«
»Bei ihm weiß man wirklich nie, ob er einen Scherz macht oder es ernst meint«, flüsterte Elanya ins Gelächter ihrer Schwester hinein.
»Ich glaube, er meint alles ernst«, erwiderte Athanor. »Aber niemand kann sich über ihn lustig machen, solange er es selbst tut.«
Sie nickte. »Eine kluge Art, mit seinem Schicksal umzugehen.«
»Pst! Seid mal still!«, bat Aphaiya.
Im einsetzenden Schweigen hörte Athanor ebenfalls kaum
Weitere Kostenlose Bücher