Der letzte Krieger: Roman
oben immer steiler und felsiger wurden, während das Tal mit kurzem dichtem Gras bedeckt war, als hätten es die Diener eines reichen Mannes mit weichen Seidenteppichen ausgelegt. Nur entlang eines Bachbetts ragten Steine aus dem Grün, und dahinter weidete eine Herde schwarzer Rinder. Alarmiert hoben sie die Köpfe, als sie die Fremden bemerkten. Die weißen Mäuler hielten beim Kauen inne. Es waren kleine, drahtige Tiere, unter deren Fell sich ausgeprägte Muskeln abzeichneten. Ein Stier senkte die weißen, in schwarze Spitzen auslaufenden Hörner und stieß herausfordernd die Luft aus, sodass sein ganzer Körper bebte.
»Wehrrinder«, sagte Athanor an Elanya gewandt. Obwohl er auf seinen Wanderungen oft mit seinem Muli gesprochen hatte, kam er sich merkwürdig dabei vor, das Wort an einen Vogel zu richten, als sei es die Elfe. Von seinem Packtier erwartete er schließlich keine Antwort. Von Elanya eigentlich schon. Doch die Eule schwieg und drehte den Kopf, um den starren Blick auf die beunruhigte Herde zu richten. Wie konnte Elanya in diesem kleinen, vollkommen vogelartigen Leib stecken? Er bekam ihr Bild und diese Eule in seinem Kopf einfach nicht zusammen. Es war unnatürlich und abartig, und gerade deshalb musste er sich immer wieder nach ihr umsehen.
»Die Zwerge züchten sie so, damit sie ohne Hirten und Hunde den Wölfen trotzen«, erklärte er.
»Hu«, machte die Eule leise.
Athanor schüttelte sich und wandte sich rasch ab. Eine solche Antwort war schlimmer als keine. Hoffentlich wusste sie, was sie tat, und blieb nicht für immer in dieser Maskerade gefangen.
Da weder er noch Davaron sich den Rindern näherten, begannen die Tiere wieder zu fressen. Nur der Stier behielt sie im Auge, bis sie an der ganzen Herde vorübermarschiert waren. In seinem wuchtigen Nacken zeugten weiße Striemen von bestandenen Kämpfen gegen Raubwild. Wie die Zwerge dieses Vieh bändigten, hätte Athanor zu gern einmal gesehen.
»Dort vorne ist das Tor«, rief er Davaron zu und deutete auf die Felswand am Ende des Tals, auf die der Weg zuführte. Eigentlich hatte er es nur Elanya sagen wollen, aber er konnte sich nicht überwinden, sich schon wieder an den Vogel zu wenden.
Davaron beschleunigte seine Schritte. »Viel her macht es nicht gerade.«
»Abwarten«, beschied ihm Athanor nur. Das Loch am Fuß des Bergs sah in der Tat aus wie der Eingang einer gewöhnlichen Höhle. Es war nicht einmal besonders groß. Viel mehr als ein Karren konnte nicht hindurchfahren, doch das war die Absicht der Zwerge. Warum es einem feindlichen Heer oder einem Drachen leichter machen als nötig?
Athanor hatte bereits mehrere Zwergentore gesehen, und alle folgten demselben Prinzip. Neugierig auf Davarons Reaktion ging er durch den etwa sieben Schritt langen Engpass, hinter dem sich der Gang auf doppelte Breite und Höhe ausdehnte. Bronzene Öllampen standen entlang der Wände in eigens geschaffenen Nischen und verbreiteten gedämpftes Licht. Ein kaum wahrnehmbarer Lufthauch streifte ihre Flammen. Das Flackern erweckte die Schatten der Figuren zum Leben, die zu beiden Seiten auf die Besucher herabstarrten. Zufrieden beobachtete Athanor, wie sich der Elf überrascht umsah. Auch die Eule drehte ihren Kopf hierhin und dorthin, um den starren Blick auf immer neue Stellen der Wände zu richten. Von den farbigen Steinfliesen am Boden bis zum Scheitel der gewölbten Decke war jeder Handbreit des Felsens mit Reliefen verziert. Schmuckbänder mit geometrischen Mustern unterteilten die Fläche in mehrere Etagen, und auf jedem Stockwerk erzählten die gemeißelten Bilder eine eigene Episode aus der Geschichte der Zwerge. Gedrungene Krieger mit dicken Köpfen kämpften gegen gewaltige Drachen, ungeschlachte Trolle und grausige Chimären. Prachtvoll gewandete Könige sprachen von ihrem Thron herab. Eine flammende Göttin umarmte einen bärtigen Riesen. Zwerge mit Karren und Lasttieren zogen durch eine Kaverne mit riesigen Kristallen. Einige der Reliefe waren rußgeschwärzt, andere von mächtigen Krallen zerkratzt, doch diese Spuren vergangener Angriffe verliehen ihnen nur noch mehr Charakter.
Ganz wohl war Athanor nicht. Immer wieder suchte sein Blick nach den Öffnungen, die geschickt in den Schatten der Figuren verborgen waren. »Sie können uns bereits sehen – und hören«, sagte er auf Lethisch, bevor Davaron womöglich etwas Verräterisches von sich gab.
Sofort verdüsterte sich dessen Miene. »Wie?«
Athanor deutete auf eines der wenigen
Weitere Kostenlose Bücher