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Der letzte Kuss

Der letzte Kuss

Titel: Der letzte Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillips Carly
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verbrachte den späteren Vormittag und einen Teil des Nachmittags damit, einen Artikel über das Kleinstadtleben zu verfassen. Eigentlich war Milieuschilderung nicht so sehr seine Sache, aber irgendwie flossen ihm die Worte aus dem tiefsten Inneren zu.
    Große Städte, größere Geschichten. Riesige Kontinente, noch größere ergreifendere Geschichten. Im Herzen all dieser breiteren Artikel konnte man, wie Roman feststellte, das Wesentliche der Menschen finden – ihre Bindung aneinander, ihre Gemeinschaft, ihr Land. Doch das fand man ebenso bei den Menschen in Yorkshire Falls.
    Wenn Roman einen aktuellen Bericht schrieb, wählte er meist Menschen zum zentralen Thema, was sie brauchten und taten, um zu überleben – ob er nun seinen Standpunkt klarmachte über die Ungerechtigkeit von Hunger und Armut, die brutale Wahrheit ethnischer Säuberungen in fremden Ländern oder den Bedarf an Sondergenehmigungen oder neuen Baugesetzen, damit jemand mit degenerativer Arthritis sich ein Haustier halten und mit ihm ohne Schmerzen spazieren gehen konnte.
    Für Roman als Journalist und Mann war die objektive Betrachtungsweise einfacher, und deshalb hatte er sich dafür entschieden, sich mit der Fremde zu befassen. Seine Gefühle für die Menschen und Geschichten zuhause blockte er ab. Zuhause, das symbolisierte für Roman Furcht, Schmerz, Ablehnung,
Verlust, all das, was er seine Mutter hatte durchmachen sehen.
    Er selber durchlebte das jetzt alles, weil er Charlotte Leid zugefügt hatte. Diese Geschichte war eine Läuterung. Er würde sie nicht verkaufen, sie aber als Beweis für das behalten, was seine Mutter ihm gesagt hatte: Wer nicht geliebt hat, hat auch nicht gelebt. Bei all seinen ausgedehnten Reisen und Erlebnissen hatte er nicht wirklich gelebt, das wurde ihm jetzt klar. Also los, wie konnte er Charlotte überzeugen?
    Nachdem er sie vergeblich im Laden gesucht hatte, erfuhr er bei Norman, dass sie mit einem Sandwich dort weggegangen war. Er brauchte es an ihrer Wohnungstür gar nicht zu versuchen. Sein Instinkt sagte ihm genau, wo er sie finden konnte, und seinem Instinkt traute er immer.
    Mit gleicher instinktiver Sicherheit hatte er vorausgesehen, dass er tief im Schlamassel stecken würde, falls Charlotte von der Münzwette erführe. Und so war es auch gekommen. Mit derselben Sicherheit wusste er jetzt, dass er sich nie ganz von ihr befreien könnte. Er wusste, dass auch das stimmte. Schnell bog er um die Ecke, die zur Rückseite ihres Hauses führte.
    Die Sonne stand tief am Himmel. Er riskierte, gesehen zu werden, wie er im hellen Tageslicht um ihr Apartment herumschlich. Es war ihm egal. Er wollte nichts als sich vergewissern, dass es ihr gut ging, obwohl er sich hüten würde, so bald schon vernünftig mit ihr reden zu wollen.
    Er stand im Schatten der Bäume und sah zu ihr hoch, wie sie da auf der Feuerleiter saß. Freiwillig allein, nicht bereit, ans Telefon oder an die Tür zu gehen. Er schüttelte den Kopf. Wie schlimm, das er ihr diesen Schmerz zugefügt hatte. Einzelne Strähnen hatten sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst
und wehten um ihr blasses Gesicht. Andächtig berührte sie die Seiten eines Buches. Er nahm an, dass es einer ihrer verdammten Reiseberichte war. Sie war eine Träumerin und sehnte sich nach Dingen, die sie für unerreichbar hielt. Reisen. Aufregung. Ihr Vater. Roman.
    Sie hatte den Nerv gehabt, in einer verschlafenen ländlichen Stadt ein weltstädtisches Geschäft zu eröffnen, aber ihr fehlte der Mut, ein Wagnis mit dem Leben einzugehen. Mit ihm.
    Wenn die Realität nun eine Enttäuschung ist ?, hatte sie wissen wollen, als er sie über ihre Bücher, ihre Träume befragt hatte. Er hatte ihr darauf nicht geantwortet, so sicher war er gewesen, dass er ihre Fantasien würde erfüllen können. Aber ein Wochenendausflug war weit davon entfernt, einen lebenslangen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.
    Und jetzt hätte er sich selbst in den Hintern treten können, weil er so verdammt arrogant, so von sich überzeugt gewesen war, als Charlottes Gefühle auf dem Spiel standen. Wegen ihres Vaters erwartete Charlotte, dass das Leben sie enttäuschen würde. Anstatt sie vom Gegenteil zu überzeugen, hatte Roman jede negative Meinung bestätigt, die sie von Männern hatte.
    Er stieß einen Fluch aus. Nach einem letzten Blick zu ihr nach oben machte er sich auf den Heimweg.
     
    Raina griff nach ihrer Handtasche und wartete, bis Dr. Leslie Gaines ihre Eintragungen ins Krankenblatt gemacht hatte.

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