Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
Vom Netzwerk:
durch...
    Dann ruckte es unter ihr, so dass sie fast vom Pferd kippte – er hatte Boden unter den Hufen. Unsanft wurde sie in den Sattel gepresst, schaffte es gerade noch, das Schaf nicht loszulassen und mit der Linken die Mähne zu fassen, weil Sörli sich mit letzter Kraft gegen die Wassermassen aufs Ufer stemmte. Vor ihnen platschte es, Schritte im Schlamm, wo Sörlis Hufe immer tiefer hineinversanken, dann zwei Hände, die sie packten, vom Pferd zogen. Keuchend blieben sie im Uferschlamm hocken – Jói, der gezogen hatte, und Lies, die gerutscht war. Der Hengst turnte die letzten Schritte alleine vorwärts, bis er trockenen Boden unter den Hufen hatte, und blieb schwer atmend und mit zitternden Flanken zwischen zwei Felsbrocken stehen.
    Regen rauschte herab, vermischt mit immer mehr Schneeflocken. Der Wind heulte über die Ebene. Wie ein Gespenst umkreiste er die beiden und zupfte an der Kleidung, um sie daran zu erinnern, dass sie hier nichts verloren hatten.
    »Das – das war unglaublich gefährlich – weißt du das?«, polterte Jói urplötzlich los, und sein Gesicht sah überhaupt nicht mehr nett aus. »Das war so’ne richtige verdammte Touristenaktion – mit Sandalen auf den Gletscher steigen, mit Keksen durch Sprengisandur -, du schwimmst mit einem Pferd, was du nicht kennst, durch einen See, den du nicht kennst, obwohl ich dir gesagt habe...«
    »Lass gut sein«, unterbrach Lies ihn müde und stand auf. Sein Zorn verfolgte sie mit jedem Schritt, den sie auf das Ufer zuging. Ihr Kopf war taub und leer. Sie fühlte, wie sie durch die Nässe immer weiter auskühlte – und fühlte es auch wieder nicht, weil es egal war. Die Kälte hatte aufgehört zu beißen – es war egal. Alles war egal. So egal. ›Frau Odenthal, was hab ich Ihnen gesagt‹, kam Packbiers Stimme vorbeigenäselt, ›was sage ich Ihnen seit Monaten – Sie sind unfähig, unfähig auch nur einen Bleistift anzu spitzen!‹
    Was hatte Packbier hier in der Hochebene zu suchen? Hatte er sie gefunden?
    Lies stützte sich auf Sörlis Sattel, bettete den Kopf darauf und schloss die Augen. Das Pferd stand da und duldete es.
     
    Sie schrak zusammen, als sich von hinten zwei Arme um sie legten und Jói sich, mit durch alle dicken Jacken hindurch donnerndem Herzen, an ihren Rücken drückte. »Verflucht, du hättest dabei draufgehen können...« Sie spürte seine Wange an ihrem Haar und dass er kaum in der Lage war zu sprechen. Herrn Packbier vom Finanzamt wusch der Regen fort. Unvermindert prasselte er herab und drang in jede Ritze der Kleidung hinein. Ihr Denken war angehalten worden. Sie blieb stehen, auf den Sattel gelehnt, am ganzen Körper zitternd, stumm und atemlos wie der Hengst und nicht in der Lage, sich umzudrehen und die Initiative zu ergreifen, obwohl ihr Herz wie wild pochte, aber nicht mehr wegen der Anstrengung, sondern wegen Jói.
    Er tat nichts, er stand einfach nur da und hielt sie fest.
    »Ich hab die Elfen gesehen«, murmelte sie irgendwann. »Sie waren dort...«
    Sein Griff verstärkte sich. »Du hast sie gesehen?« Lies nickte. »Nein – nicht gesehen. Sie waren dort. Wir durften unter ihren Stein...«
    Jói zögerte. »Haben sie dich eingeladen? Mitzukommen?«
    »Ja. Haben sie.« Langsam drehte Lies sich um. Seine Nase war rot wie eine Hagebutte und die Augen waren fast schwarz. »Ich bin nicht mitgegangen.« Mutig suchte sie seinen Blick. Er hatte sie nicht ganz losgelassen, nur ein bisschen den Griff gelockert, aber sie las in seinen Augen, dass er keinen Mut mehr hatte für einen weiteren Schritt. Obwohl er so souverän mit Spritzen hantierte, Schafe erschoss und ritt wie der Teufel.
    »Normalerweise fragen sie nicht, Lies.«
    »Doch. Mich haben sie gefragt.«
    Ungläubig lachte er auf. »Was hast du gesagt?«
    »Dass ich woandershin muss. Dass ich wieder zurückreiten muss, auf die andere Seite des Sees.« Sie holte tief Luft und lächelte ihn an. Þetta kemur . Es würde schon werden, irgendwann. Was war eine Spritze gegen einen Kuss. »Da haben sie mich laufen lassen.«
    »Ein Glück«, sagte er mühsam. »Welch ein verdammtes Glück …«
    Dem war nichts hinzuzufügen – und bevor Lies etwas Dummes tun konnte und damit den zaudernden Doktor verschreckte, stahl sie sich lieber aus der losen Festung seiner Arme und kramte stattdessen an Sörlis Zügeln, obwohl sie ihre Finger kaum noch spürte. »Mir ist kalt.« Sie trat vorsichtshalber noch einen Schritt zurück, weil seine warme Jacke so lockte. »Wollen wir?

Weitere Kostenlose Bücher