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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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Lass uns gehen, Jói, mir ist so kalt...«
    »Du kannst mein Pferd nehmen, der Hengst ist erschöpft.« Fast klang er froh, dass sie die Situation entschärft hatte. Lies deutete ein Lächeln an und schüttelte den Kopf. »Ich laufe. Mir ist sooo kalt...« Kalt war gar kein Ausdruck, es fühlte sich an, als ob das gesamte Eis des Vatnajökull sich in ihren Gummianzug geschlichen hätte. Energisch stapfte sie vorwärts, um gegen dieses Zittern anzulaufen, ihren klappernden Kiefer zum Schweigen zu bringen, Schritt für Schritt …
    Irgendwann aber saß sie dann doch auf seinem braunen Pferd, weil sie nämlich auf der Hälfte des Weges über einen versteckten Bach gestürzt war, den der Hengst trotz bleierner Müdigkeit wahrgenommen hatte und sie nicht. Sie hatte sich mit Händen und Füßen gewehrt, den Braunen zu besteigen, sie kannte ihn doch nicht, konnte doch nicht reiten, kleine Pause, dann würde das schon wieder gehen – doch diesmal ließ der Doktor nicht mit sich diskutieren, ignorierte ihr Gerede und verfrachtete sie kurzerhand in den Sattel des Braunen, wo sie stumm hocken blieb, vollauf damit beschäftigt, bergab nicht vom Pferd zu rutschen, und ergeben in ihre zunehmende körperliche Schwäche. Es machte immer mehr Mühe, auch nur eine Gliedmaße zu bewegen. Sie fror von innen schier an den Kleidern fest, und ihre nassen Haarsträhnen gefroren eine nach der anderen zu Eiszapfen, die leise klirrend um ihren Kopf schaukelten. Der Regen ging endgültig in Schnee über. Nasedrehend hatte der Himmel die Wolken abgehängt und das Land in milchigen Schneedunst getaucht – ab jetzt war Herbst und Schluss mit Sommer. Lies schloss die Augen. Jóis Hand stahl sich an ihren Rücken und stützte sie, damit sie nicht aus dem Sattel kippte.
    Das Schaf, das schuld an allem war, rannte unablässig blökend vor ihnen her und führte sie nach Gunnarsstaðir, ob es den Weg tatsächlich kannte oder aus purem Zufall richtig lief – Lies jedenfalls hätte im Leben nicht mehr zurückgefunden.
    Als sie endlich auf der Schotterpiste standen und den rauchenden Kamin von Gunnarsstaðir am Horizont sehen konnten, brachte Jói die Pferde zum Stehen und drehte sich zu ihr um.
    »Die Elfen ärgern sich jetzt bestimmt«, sagte er mit einem schiefen Lächeln.

11. Kapitel
     
    Als sie den Hof erreichten, klapperten Lies’ Zähne heftig. In den Füßen hatte sie schon lange kein Gefühl mehr, und die Hände waren so steif wie zwei Holzstücke. Sie taten so weh, als hätte jemand mit einem Hammer darauf herumgehauen. Eisern riss sie sich zusammen und kämpfte gegen die zunehmende Dumpfheit in ihrem Kopf an, diesen Nebel, der sich dort ausbreitete.
    »… sind sicher nicht alle beisammen...« Irgendwas erzählte Jói da von Schafen. »... morgen holen... zählen... hörst du mich?«
    Jemand rüttelte an ihrem Arm. »Hörst du mich? Lies? Lies, hörst du mich?« Sie nickte... Herrgott, sie nickte doch, sah er etwa nicht, dass sie nickte …
    Männerstimmen. Jemand klaubte sie vom Pferd. Das tat auch weh, weil ihr Fuß im Steigbügel hängen blieb. »... durch den See... verlorenes Schaf...«
    Lies schwebte. Was für ein seltsames Gefühl, getragen zu werden. Dumpf war es in ihrem Kopf und schwindelig. Hilfesuchend tastete sie umher, griff ins Leere. »... viel zu lange... in der Kälte... schnell...« Türenschlagen. Energische Schritte auf Linoleum, niemand zog die Schuhe aus. Der Spitz hechelte. Pfoten auf Linoleum, der Spitz folgte ihnen. Ein Bett, vertrauter Geruch. Ihr Bett. Jemand riss an der Jacke, ein anderer an der Hose. Die zogen ihr die Hose aus! Sie kam sich so hilflos vor, weil sie sich nicht wehren konnte, dass Männer an ihren Klamotten rissen, und sie fing an zu weinen.
    »Lies.« Jóis Stimme war ganz dicht an ihrem Ohr, sie fühlte seinen Arm, seinen warmen Atem, die Hand an ihrer Wange, zwei Finger reichten bis an ihren Hals, umfassten den Hals, und sie roch seinen Wollpullover, die Flusen kitzelten ihr Gesicht. »Lies, du bist unterkühlt. Hörst du mich. Sprich mit mir.« Sie schluchzte, weil sie nichts bewegen konnte, weil alles wehtat, alles – alles …
    Er presste sie kurz an sich, strich über ihr Haar. »Lies...« Immer wieder drückten sich seine Finger in ihr Handgelenk, wo er nach ihrem Puls suchte. Dann schabten die vereisten Klamotten weiter an ihren Gliedmaßen entlang, sodass sie vor Schmerz keuchte – was waren sie so ungeschickt, so ruppig mit ihr. Ihre Haut war aus Glas, sie würde zerspringen! Weinen

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