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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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schüttelte sie, als jemand sie am ganzen Körper mit feuchtwarmen Tüchern abrieb und nackt, wie sie war, in eine kratzige Decke wickelte. Ihre Augenlider waren so schwer, es gelang ihr kaum, sie zu öffnen, und durch die Schlitze konnte sie Jóis besorgtes Gesicht erkennen. Immer wieder sprach er sie an, kniff sie in die Wange, sagte ihren Namen. Und sie begriff, dass es wichtig war, ihm zu antworten. »Mir geht es... gut«, flüsterte sie mühsam. Jói hielt inne. Ein halbes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, und er setzte sich kurz neben sie.
    »Du lügst«, raunte er, sichtlich froh über das Lebenszeichen. Lies schüttelte den Kopf, ganz langsam, weil der Hals so steif war, aber es gelang. » Þetta kemur« , murmelte sie, » þetta kemur allt saman .« Und Island, das sie noch mit Eis umschloss, lachte und nickte, Recht hast du . Jói drückte ihren Arm. » Þetta kemur« , flüsterte er, und vielleicht meinte er auch etwas ganz anderes damit.
    Danach gab es weitere Decken aus Wolle, Wärmflaschen, erhitzte Steine an den Füßen. Ari fluchte, weil er sich die Hände verbrannt hatte. Die Steine wurden im Bett hin und her geschoben, Decken auf- und zugedeckt, dies und jenes diskutiert.
    Tee. Brennivin . Doch Tee. »Kaffee«, schlug Tilli vor. »Tee«, beharrte Jói, »sie bekommt Tee.« Und: »Muss ich etwa selber...?«
    Die Tränen versiegten langsam, die Lider indes blieben schwer. Wohlige Wärme breitete sich in ihr aus. Die Finger an ihrem Handgelenk wurden sanfter, der Puls normalisierte sich wohl. Ein Schluck heißer Tee, grauenvoll unappetitlich süß. »Trink, Lies.« Folgsam schluckte sie. Wer hatte den bloß gekocht. Jóis Arm unter ihrem Kopf, damit sie, gegen seine Schulter gelehnt, trinken konnte. Er saß in ihrem Bett, ganz dicht bei ihr. Warum saß er in ihrem Bett? Lies’ Herz klopfte heftig. Jói saß in ihrem Bett. Völlig eingenommen von diesem wunderbaren Gedanken, schlummerte sie weg. Jói saß in ihrem Bett. Sie träumte von ihm, von Schafen, von Felsen, Schnee und von Decken. Weiche, kratzige, alte Decken. Neue, weiche, satinschimmernde aus dem Supermarkt. Sie liebte Decken. Decken auf dem Bett, auf dem Sofa, im Lesesessel. Daheim hatte sie überall Decken herumliegen. Ihre Hände fuhren über den Stoff.
    Noch eine Decke – sie roch nach Elías. Faulig, schmuddelig. Lies wachte auf.
    »Was – was macht ihr hier?« Angeekelt verzog sie das Gesicht und schob die widerliche Decke ein Stück von ihrem Gesicht weg.
    »Jetzt ist sie wach.« Auch die Stimme gehörte Elías, der auf einem Hocker neben ihrem Bett saß, und sonst war niemand im Raum. Blass und schmal, mit Augen so schwarz wie Knöpfe, saß er da und bewachte ihre Rückkehr ins Leben. Sie hatten ihm den Bart abrasiert, und die untere Hälfte seines Gesichtes sah weiß und sehr verletzlich aus. »Jetzt ist sie wach.« Das klang erleichtert. Er stand auf und zog fürsorglich die Decke wieder gerade. »Jetzt ist sie endlich wach.« In seinen Augen las sie stille Freude. Ungewohnt. Sehr ungewohnt. Sie wusste gar nicht, wie sie darauf reagieren sollte.
    »Seit wann bist du zu Hause?«, fragte sie, mit noch etwas steifem Mundwerk, und überhaupt, ihr Gesicht fühlte sich an wie aus Papier und juckte furchtbar. Sie zwang sich, nicht zu kratzen. »Seit wann bist du wieder daheim, Elías?«, wiederholte sie ihre Frage, diesmal grammatisch korrekt, doch daran lag es nicht, dass er nicht antwortete.
    »Man trinkt bei der Arbeit im Hochland keinen Alkohol, Mädchen.« Der Alte beugte sich über sie. »Niemals tut man das. Nicht bei Schnee, nicht bei Regen, nicht im Sommer.« So deutlich artikuliert hatte er in all den Monaten noch kein Mal zu ihr gesprochen, und er drang damit so auf sie ein, dass ihr nicht mal sein Mundgeruch aufstieß. »Niemals – Alkohol kann einen im Hochland umbringen. Verstehst du das?«
    Lies nickte. »Aber Jói hat...«
    »Man trinkt bei der Arbeit im Hochland keinen Alkohol.«
    Er lehnte sich zurück. Damit war das Gespräch beendet. Rechtfertigungen interessierten ihn nicht, und was Jói tat, auch nicht. Auch kein Wort über das gerettete Schaf und ihr verrücktes Bad im Gletschersee, kein Wort über die Extratour oder über das Feuer, seinen Unfall, die Tage in der Klinik – nichts. Er lehnte sich gegen die Wand und starrte aus dem Fenster. Die Freude in seinen Augen, die sie ganz sicher eben gesehen hatte, war erloschen. Er saß einfach nur da, wie er sonst immer in der Küche gesessen hatte – stumm,

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