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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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Tropfen Blut in ein kleines Gerät. Das Ergebnis schien sehr schlecht zu sein, denn er redete lange und intensiv auf den Alten ein. Dann holte er aus seinem Koffer, der neben dem Bett stand, ein Fläschchen heraus, suchte zwischen seinen Tierarztinstrumenten nach einer passenden Nadel und flößte dem Alten eine Kurzinfusion in die Armbeuge. Elías starrte die Decke an.
    »Kannst du was zu essen bringen?«, fragte Jói laut, als wüsste er genau, dass sie hinter der Tür stand.
    »Ja«, erwiderte sie errötend und eilte, wieder froh, etwas tun zu können, in die Küche, um vom alten Brot und ein Stück kaltes Fleisch zu bringen. Elías lehnte in den Kissen und stopfte das Essen wortlos in sich hinein, wie sie es gewohnt war.
    »Er wird jetzt schlafen. Komm«, sagte Jói und schob sie aus dem Zimmer.
    »Ist er sehr krank?«, fragte sie leise.
    »Ja, ist er. Du musst mir erzählen, was los war. Alles.« Sein Blick war sehr ernst. Lies überlegte. Das Schaf!
    »Im Stall... im Stall liegt ein Schaf... ich wusste nicht, was ich tun sollte...« Flehend sah sie ihn an, so erschöpft und mit dem plötzlich dringenden Wunsch, nach Hause zu dürfen. Den anderen Wunsch, der Jói betraf, verschluckte sie lieber gleich, bevor er übermächtig wurde.
    »Schaf?« Er sah ihr scharf in die Augen. »War kein guter Tag, wie?«
    »Scheiße, nein.« Lies wandte sich ab, weil ihr Tränen in die Augen stiegen, wie ätzend. Und so lief sie rüber zum Stall, wo das arme Schaf sich immer noch quälte. Hastige Schritte verrieten, dass er ihr folgte.
    »Du musst das Pferd absatteln. Hörst du?«
    Sie musste gar nichts, im Übrigen graste das Pferd immer noch friedlich vor sich hin. Was interessierte sie das Pferd. Sie musste in den Stall, wo sie ein leidendes Tier zurückgelassen hatte, wo sich vielleicht weitere Katastrophen ereignet hatten...
    Und genau so war es.
    Das Schaf lag auf der Seite, erschöpft von den Schmerzen und dem Tode nahe. Die Augen blickten resigniert drein. Es stöhnte wie ein Mensch und bewegte sich kaum noch.
    »Jói... da!« Entsetzt hielt sie sich die Hand vor den Mund. »Sie blutete«, flüsterte Lies, »und was ich innen fand, war – war – ich wusste nicht weiter, und ich wollte Elías um Hilfe bitten und hab ihn nicht gefunden...«
    Jói stieg an ihr vorbei in den Verschlag. Mit geübtem Griff packte er das Lamm und reichte es ihr. »Besorg ihm irgendwo Milch, bevor es verhungert«, sagte er knapp. Einen Augenblick später war seine Hand mit Vaseline eingeschmiert und glitt in das Schaf hinein – Lies konnte nicht hinsehen. Das Lamm zappelte schwach auf ihrem Arm. Sie legte es in eine leere Box und machte sich daran, ein Mutterschaf an den Hörnern zu fesseln und Milch in das Fläschchen zu melken. Sie stellte sich furchtbar ungeschickt an, das Muttertier wehrte sich, vielleicht, weil sie zu heftig an den Strichen zog oder weil sie zitterte. Das Lämmchen bähte leise, sie hörte das Schaf nebenan stöhnen, dann war das Milchfläschchen voll, und sie richtete sich auf, um über die Trennwand herüberzugucken. Jói sah sie an. Seine Hand, der Arm, alles war voller Blut, welches er langsam am Fell des sterbenden Schafes abwischte.
    »Wo ist die Pistole?«, fragte er. Lies schluckte. Ihr wurde schlecht. Pistole. Tränen stiegen hoch, und sie musste die Lippen aufeinanderpressen, die trotzdem zitterten. Was für ein Scheißtag. Ein gottverdammter …
    Ohne eine Antwort abzuwarten, stieg Jói aus der Box und machte sich auf die Suche. Mit dem Lamm im Arm kletterte Lies noch einmal in die Box. Hockte sich neben das Schaf, strich über den harten Kopf, der immer so unecht aus dem dichten Wollkleid herausschaute. »Tut mir leid«, flüsterte sie, »tut mir so leid, hörst du, sooo leid...« Auf das Meckern des Lammes gurrte die Mutter mit letzter Kraft noch einmal und hechelte weiter, für mehr fehlte ihr die Kraft. Heiße Tränen fielen in den dichten Filz.
    Eine Hand lag auf ihrer Schulter. »Geh«, sagte Jói leise, »geh und gib ihm endlich die Milch. Ich mach das schon.« Sie schüttelte den Kopf. Das hier war ihr Schaf, sie trug die Verantwortung, sie musste dabeibleiben.
    Da zuckte er mit den Schultern. »Wie du meinst.« Er hockte sich neben das Schaf. Lies packte das Lämmchen fester, ihr Herz klopfte. Sie war noch niemals bei der Tötung eines Tieres zugegen gewesen. Schrecklich. Wie schrecklich. Wie furchtbar, wie aussichtslos, wie hoffnungslos. Jói fuhr mit der Hand sachte und fast zärtlich über den Kopf

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