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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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Gunnarsstaðir. Bier. Lies seufzte. Auch den Geschmack von Bier hatte sie vergessen. Mit einer Lochzange drückte sie zusätzliche Löcher in den Gürtel und staunte, wie schnell das mit dem Abnehmen hier funktionierte. Die eine Hose schlabberte bereits so, dass sie sie nicht mehr anziehen konnte. Wenn sie das mal zu Hause geahnt hätte... Jedoch, gut fühlte sie sich nicht dabei. Eher unbefriedigt und leer. Ohne anregende Mahlzeiten, nette Gesellschaft und gutes Essen fehlte etwas im Leben.
    »Vielleicht soll ich genau das merken? Was meinst du?«, fragte sie das Pferd, als es vorsichtig einen trockenen Kanten Brot, den sie in der Küche gestohlen hatte, aus ihrer Hand nahm. »Soll ich merken, wie gut ich es zu Hause hatte?«
    Der Schimmel kaute auf dem Brot herum und leckte noch einmal sanft über ihre Handfläche. Wenn ja, was machst du daraus? Bevor sie ihn streicheln konnte, zog er von dannen.
    Lies zuckte mit den Schultern und zog sich die Kapuze über den Kopf. »Keine Ahnung, Pferd. Keine Ahnung.« Müde ging sie in den Stall zurück.
    Lies kam auch weiterhin nicht auf die Idee, irgendwas zu unternehmen. Jeder andere wäre losgewandert, hätte die Felsen erklommen, wäre die Straße nach Höskuldstaðir entlangspaziert. Jeder andere hätte irgendwas aus seinem Leben hier gemacht. Das dachte sie noch, kurz bevor ihr im Bett die Augen zufielen.
    Jeder andere hätte aber auch nicht diesen Job gemacht.
     
    Elías humpelte also herum und sprach kaum ein Wort mit ihr. An seinen immer strengeren Geruch gewöhnte sie sich nur schwer. Er kochte merkwürdige Dinge und beträufelte seine Schaffleischstücke mit Ahornsirup, so dass es an den Seiten herunterlief. Für ihren Teller verbat sie sich solche Verzierungen. Was der Ahornsirup mit seinem Diabetes machte, konnte sie nur ahnen, ebenso die Schokolade und der Streuzucker, ohne den der Kaffee ungenießbar war. Seine Spritzen gab er sich in seinem Zimmer, und niemals fand sie irgendwelche Abfälle oder Ampullen. Vielleicht dämmerte das ganze Zeug auch unbenutzt weiter in der Schublade vor sich hin. Zuzutrauen wäre es ihm.
    Inzwischen aßen sie wieder miteinander, teilten Brotscheiben und lasen sogar alte Zeitungen an einem Tisch. Was der Alte fertig gelesen hatte, schob er über den Tisch und duldete, dass Lies danach griff. Beim ersten Mal hatte er noch dumm geschaut, als sie eine isländische Zeitung las, danach guckte er nicht mehr.
    Lies guckte auch nicht mehr.
    Manchmal saßen sie auch beieinander und strickten. Lies wunderte sich, wie schnell Elías einen Strumpf fertig stellte, obwohl seine knochigen Hände so steif wirkten. Wahrscheinlich strickte er, damit sie nicht noch steifer wurden. Sie strengte sich an, doch bei seinem Tempo des Maschenlegens konnte sie trotzdem nicht mithalten. Immerhin ein Paar Socken hatte sie fertig gestellt, beim zweiten Paar ging sie schon mutiger ans Werk. Einmal zeigte er ihr, wie sie ein Muster hineinstricken konnte. Es fühlte sich komisch an, ihn so nahe neben sich zu spüren. Mit kargen Worten zeigte er, wie man Fäden miteinander verschlang und zopfartige Effekte erzielte, doch als sie nicht hinbekam, was er zeigte, griff er so unwirsch in ihr Strickzeug, dass sie aufsprang und es von sich stieß. Danach tat er das nie wieder. Wenn sie strickten, trennte der Tisch sie. Irgendwann verlor Lies die Lust, nicht nur weil sie bei Tisch kaum noch die Augen offen halten konnte, und das Strickzeug verstaubte in ihrem Schlafzimmer.
    Außerdem nahmen die Vorräte der Draumur schokolade indes stetig ab. Lies musste sich zusammenreißen, um das zu essen, was Elías auf den Tisch brachte, weil ihr Hunger so groß war. Warum nur hatte sie so einen enormen Hunger? Lag es daran, dass die Arbeit zunahm? Oder hatte sie nur das Gefühl, dass es mehr Arbeit gab, weil sie sie seit Elías’ Krankheit mit niemandem mehr teilen konnte? Machte die Verantwortung etwa den Hunger? Sie lastete auf Lies wie eine Tonne Geröll aus der Jökulsá, sie machte, dass das Atmen mühsam wurde und der Schlaf trotz der Müdigkeit nicht mehr so leicht daherkam wie sonst. Und so stopfte sie sich allabendlich einen Riegel Draumur in den Mund – weit davon entfernt, die Schokolade so langsam zu genießen wie am Anfang – und war nicht glücklich, sondern traurig, wenn sie das leere weißrote Papier in den Händen hielt. Immerhin ging es sich mit dem eigenartigen Schokoladenlakritzgeschmack im Mund irgendwie leichter hinüber in den miefigen Stall.
    Das weiße

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