Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
die aus dem Filzkleid hervorschauten, alle gleich aussahen. Der Vaselinetopf stand stets bereit, und der Griff in das Schaf war nichts mehr, worüber sie auch nur nachdenken musste.
Einige Lämmer erkrankten an Durchfall, zwei davon starben an Entkräftung. Das eine fand sie am Morgen, das andere hauchte in ihren Händen sein junges Leben aus. Traurig darüber saß sie abends am Tisch. Elías hatte ein paar freundliche Momente und fragte sie nach dem Grund.
»Lämmer«, sagte sie. Und erklärte mit Händen und Füßen, woran die Tiere starben. Statt zu schimpfen, nickte er nur und humpelte in die Speisekammer. Sie bekam von ihm ein Paket eingefrorenen Joghurt, den sie, wenn er aufgetaut war, an die Lämmchen verfüttern sollte. Sie wunderte sich, wie sich seine Laune hob, sobald von den Lämmern die Rede war. Die Lämmer waren seine Freude, sie allein brachten ihn dazu, den stets verkniffenen Mund auch mal zum Lächeln zu gebrauchen.
›Man sollte überall ein paar Lämmer haben‹, dachte sich Lies. ›Im Büro auf dem Finanzamt. In der U-Bahn, vor der Supermarktkasse – überall dort, wo griesgrämige Menschen sich das Leben gegenseitig zur Hölle machten und vergessen hatten, dass ein Lächeln viel einfacher, effektiver und energiesparender war als unfreundliches Rumgezicke. Lasst mehr Lämmer um euch sein!‹ Sie grinste. Was war der Ärger in der U-Bahn doch weit weg …
Elías hatte schon wenige Tage nach seinem Zusammenbruch das Krankenbett wieder verlassen und schlich durch das Haus. Übellaunig und irgendwie anders als vorher. Lies war verwirrt und musste immer wieder daran denken, dass Jói gesagt hatte, man müsse das im Auge behalten. Wie denn bitte? Sie etwa?? Sie hatte doch keine Ahnung! Was jedoch auch immer in seinem Körper vorging, es verhieß nichts Gutes. Hatte er bis vor kurzem seine Wäsche noch selber saubergehalten, türmte sie sich nun in der Kammer, und Lies begann, sie in der Wanne zu waschen. Es gab ja nur diese Wanne und Seifenpulver sowie eine dicke Wurzelbürste, die die fadenscheinigeren Kleidungsstücke auch mal durchlöcherte. Nach dem Waschen und Trocknen konnte sie also noch eine Flickstunde einlegen.
»Machst du Löcher in meine Kleider?«, hatte der Alte gefragt und ihr ärgerlich eine Hose unter die Nase gehalten.
»Ich hab sie bloß saubergemacht«, versuchte sie sich zu wehren, ihre mangelnden Sprachkenntnisse verfluchend. Für das, was sie da saubergemacht hatte, gab es sowieso kein Wort.
»Mach meine Kleider nicht kaputt!«, hatte er zurückgefaucht. Da schwor sie sich, seine Sachen nicht mehr zu waschen, sollte er doch seinen Kram selber machen! Doch bereits nach einer Woche stank es so sehr in der Kammer, dass sie sich um ihrer eigenen Nase willen erbarmte, denn ihm war es offenbar gleichgültig, und das Wäscheschrubben wieder begann, fluchend, spuckend und mit Todesverachtung.
Auch das Badezimmer musste sie täglich putzen. Es war widerlich, wie schmutzig er es neuerdings hinterließ. Noch nie hatte sie so etwas erlebt, sie war schließlich keine Krankenpflegerin und fand diese ganze Körperlichkeit um einen alten Mann ziemlich ekelhaft. Lieber den Schafstall dreimal hintereinander ausmisten als diese verfluchte Hausarbeit... ›Krank‹ hatte Jói den Alten genannt, doch diesen ganzen Dreck, den verursachte er doch mit Absicht. Der war höchstens krank im Kopf. › Þetta kemur ‹ war ihr zumindest im Haushalt längst vergangen. Nichts wurde besser, nur die Arbeitstage, die wurden länger.
Allmählich, so kam es ihr vor, während sie auf den Knien lag und die Toilette putzte, allmählich konnte man sich kaum noch entscheiden, wer schlimmer war – der widerlich-gemeine Packbier oder der widerlich-widerliche Elías. Alle Milde, die sie mal für ihn empfunden hatte, war verschwunden.
Doch sie hielt durch. Vielleicht auch, weil sie auf den isländischen Sommer wartete, von dem Silke so geschwärmt hatte? Rotes Dach, Wollblumen …
Oder auf Jói und ›bei Gelegenheit‹?
Vielleicht blieb sie auch, weil sie nicht wusste, was sie sonst machen sollte.
Bei diesem Gedanken schossen ihr die Tränen in die Augen, vor lauter Hoffnungslosigkeit und Leere.
›Bei Gelegenheit‹ kam nicht, der Sommer kam nicht, und die Eintönigkeit der Tage hielt sie umfangen. Arbeiten – essen – schlafen. Am nächsten Morgen wieder arbeiten, mit dicken Augen und Kopfschmerzen wie nach drei Flaschen Bier, nur dass es in Island kein Bier gab. Jedenfalls nicht auf
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