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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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verleihen. Lies staunte, wie angenehm der Rauch auf einmal roch. Vielleicht war er doch nicht so schlimm, dieser Schafsdung?
    Elías hielt ihr einen Schürhaken hin. »Das ist deine Aufgabe. Schau nach dem Feuer. Jeden Tag, mehrmals. Es muss brennen, immer. Das hángikjöt ist in zehn Tagen fertig.« Damit übergab er ihr den Schürhaken und eine neue Aufgabe. Lies starrte das Fleisch an und nickte langsam.
    »Du wirst sehen – du wirst nie wieder was anderes essen wollen«, raunte Ari von hinten.
     
    Es war wirklich ein wunderlicher Nachmittag.
    Sie aßen das magere Schneehuhn mit Speckbrust und Milchsauce und vielen Kartoffeln. Für Elías hatte Lies die Kartoffeln in einer dicken Schicht aus Zucker geschwenkt, und der Karamelduft hing noch lange in der Küche. Ari redete über Wolle. So schnell flossen die Worte aus seinem Mund, dass Lies nichts verstand außer »Wolle« und »Hördur Sigvaldson«, was klang wie »Hördr Ssivan« und nicht gleich als Name zu erkennen war. Elías schüttelte den Kopf und sagte irgendwas von »lohnt sich doch nicht« und »zu wenig«, doch Ari insistierte, und »Hördr« kam immer wieder vor. Elías nickte schließlich, ein bisschen wehmütig, wie sie fand, und betrachtete seine verknöcherten Hände.
    » Jæja «, sagte er dann. »Hördur. Ein guter Mann. Ein guter Mann, ich kannte seinen Vater.«
    Was es nun aber mit Hördur Sigvaldson auf sich hatte, verstand Lies nicht. Ari sprudelte weiter Wollgespräche vor sich hin, und sie nahm sich viel Zeit, die Kartons des Kaufmanns in der Speisekammer auszuräumen. Mehl. Und Backpulver. Und Öl. Und Marmelade. Salz. Einen Sack Kartoffeln. Eingelegte Gurken – das war neu. Wie lecker! Wann hatte sie zuletzt Gurken gegessen?? Seife. Waschpulver. Senf. Hm – Senf! Viele Pakete Kaffee, bis das Regal sich bog, und sogar ein Paket Instantkakao. Ob der für sie gedacht war? Elías machte nicht den Eindruck, als würde er Kakao trinken. Zuletzt räumte sie Draumur aus der Kiste , zwei ganze Großpackungen. Eine für Elías, eine für Lies. Sorgfältig räumte sie die Pappkartons nebeneinander ins Regal. Und schrieb in einem Anfall von Lachlust ihre Namen auf die Pappe. ›Elías‹. ›Lies‹. Und einen Schnörkel jeweils drumherum.
    »Mal sehen, welcher Karton eher leergefuttert ist«, murmelte sie amüsiert. Die Flasche Ahornsirup stellte sie daneben. Noch nie war ihr ein alter Mensch begegnet, der einen so seltsamen Geschmack pflegte …
    In der Küche rührte dieser Mensch gerade Kaffee in seine mit Zucker gefüllte Tasse und schob das Kartönchen mit Insulinspritzen, das Ari ihm vor die Nase gesetzt hatte, mit dem Arm zur Seite.
    »Ich könnt das ja nicht«, sagte Ari. »Mich selber spritzen.«
    Elías grinste schelmisch. »Ich auch nicht.«
    Der Löffel klirrte am Tassenrand entlang. Das Löffelklirren gehörte in diese Küche wie das Ticken der Uhr, die nachdenklich von über der Tür auf den Alten herabblickte. Tod-und-Leben-Tod-und - Leben-Tod-und-Leben. Der Zeiger zuckte vorwärts. Dann lächelte sie ›zehn vor zwei‹ und tickte leise weiter.
    »Ich auch nicht«, wiederholte der Alte. Ari und Lies wechselten einen Blick. Keiner konnte sagen, wie ernst er das meinte. Doch da er heute, nach Schneehuhn mit dicker Milchsoße und dem ersten aromatischsüßen Rhabarbermus des Jahres einen ausgesprochen aufgeräumten Eindruck machte, ging es ihm zumindest nicht schlecht, und das war schließlich die Hauptsache.
     
    Lies verfluchte die Räucherkammer, nicht nur einmal.
    Sie hasste diese Dungplatten. Sie verbrannte sich die Finger an der Glut, verschmutzte ihre Klamotten mit Asche, sie stieß sich den Kopf am niedrigen Türbalken und an den schmierigen Schafskeulen, und einmal ging ihr fast die Glut aus, weil sie es verpasst hatte, mittags Dung nachzulegen. Elías hatte nur die Küchenuhr angeschaut und fragend eine seiner buschigen Brauen gehoben. Ein Fluch war ihr entfahren – seit dem Frühstück nicht mehr dort gewesen -, und sie war nach draußen gestürzt.
    »Verfluchter Mist – wer braucht denn Räucherfleisch?!?«, schrie sie die Berge an, denn das Feuer war fast ausgegangen. »Wer braucht so’n Scheiß?! Kann man nicht einfach was Normales essen, was Stinknormales...?« Und seit langer Zeit mal wieder schossen ihr Erinnerungen an Pesto, Parmaschinken und Christstollen durch den Kopf, und wie lange sie es hier schon mit Eingeborenenfraß aushielt – in Tierexkrementen geräuchertes Essen – du lieber Himmel! Sie spuckte mit

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