Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
Vom Netzwerk:
so viele von ihnen saufen wie die Löcher und nicht treu sein können.«
    »Jói säuft nicht!«, entgegnete Lies fast empört, ohne es wirklich zu wissen. Auch mit der Treue – sie wusste ja überhaupt nichts von ihm. Was für ein schwachsinniges Gespräch.
    Ari kratzte sich hinterm Ohr. »Jói – tja. Jói studierte Tiermedizin. Und jetzt ist er wieder hier.«
    Jetzt ist er wieder hier, und seine Freundin hat ihn verlassen, weil sie Island nicht mochte. Und er verschenkte ihre Bücher. Und er war für die beiden alten Männer wie ein Sohn. Lies schämte sich dafür, wie ein Teenager Informationen über das Objekt der Begierde zu sammeln, als könnte das die Sehnsucht im Bauch besänftigen. Tat es nicht – schlimmer noch: Sie konnte sich mit einem Mal kaum noch daran erinnern, wie er aussah. Gab es das? Heftig nagte sie an ihrem Fingernagel. Schwarzhaarig war er. Pechschwarze Haare. Wenn sie feucht waren, lockten sie sich. Und helle Augen. Grau? Oder blau? Sie biss sich auf die Lippen. Die Augen standen eng beieinander, weswegen sein Blick so intensiv war. Daran erinnerte sie sich. Graue Augen oder blaue?
    »Er arbeitet in der Tierklinik in Egilstaðir. Viel zu tun dort.« Federn flogen in die Luft.
    »Hmhm«, brummte sie. Grau? Oder blau? Ach, es gab einfach zu wenig Abwechslung auf Gunnarsstaðir, da wurde man wunderlich und begann den Klatsch zu lieben. Kjaftæði nannte Elías das. Klatsch. Es war ihr peinlich im Zusammenhang mit dem hübschen Doktor. Ja, hübsch war er. Ausnehmend hübsch. Und seine Augen waren blau. Sie errötete und vergrub die Hände im weichen, nach Kräutern duftenden Moosteppich.
     
    Es war ein wunderlicher Nachmittag, und Jói fehlte.
    Ari hatte Schafskeulen mitgebracht und meinte, diesmal seien sie nicht für die Kühltruhe, sondern zum Räuchern vorbereitet. Statt zu schimpfen, machte Elías nur ein erstauntes, dann versonnenes Gesicht und brummte, ob sein Räucherhaus ihn wohl überhaupt wiedererkennen würde.
    »Wo räuchert man?«, fragte Lies.
    »In einem Räucherhaus«, grinste Ari frech. »Und hángikjöt nennt man das hier«, erklärte er und strich über das in straffe Leinensäcke eingepackte Fleisch. »Das wirst du sehen, wie man das macht. Eine Woche hat es in Salzlake gelegen, da kann man es heute aufhängen.«
    »Man kann es aufhängen, jæja .« Versonnen schaute der Alte auf das Fleisch. »Hab wirklich lange nicht mehr geräuchert. Lange nicht, wirklich.« Dann packte er den Korb und marschierte voran, und zwinkernd forderte Ari Lies auf, ihnen zu folgen. »Wirst schon sehen...«
    Elías wanderte um den Stall herum in Richtung Berg. Ari holte die Petroleumlampe aus dem Stall, und Lies schlich dem Alten hinterher: Es gab hinter dem Schafstall nämlich ein winziges Häuschen aus Grassodenwänden, an dem sie immer vorbeigelaufen war. Es war halb in den Berg gebaut und so groß, dass gerade eine Person hineinpasste. Ari hielt ihr die Lampe über den Kopf, damit sie schauen konnte. Es war rabenschwarz da drinnen. Mit Mühe konnte sie eine Feuerstelle aus Steinen am Boden erkennen. Ritzen zwischen den Grassoden waren mit Schafwolle zugestopft, die sich vom Rauch schwärzlich verfärbt hatte. Erdiger, torfiger Geruch verschlug ihr fast den Atem.
    »Räuchern. Hier wurde immer schon geräuchert«, klärte Ari sie auf. Staunend sah sie, wie Elías einen Stapel getrockneten Schafsdung – den säuberlich gestapelten für schlechte Zeiten – herbeischleppte und in die Feuerstelle legte. Schafsdung. Sie biss sich auf die Zunge. Schafsdung, wie ekelhaft. Mit einem bisschen Heu fing der Dung rasch Feuer, flackerte auf, brannte erst lichterloh, dann fiel das Feuerchen zusammen und glomm vor sich hin. Stechend riechender Rauch stieg auf, Lies musste husten. Doch die Glut beruhigte sich zunehmend, der Qualm wurde weniger, dann hörte er auf, stattdessen stieg heller Rauch aus dem Gluthäufchen hoch.
    »So ist es gut, so muss es aussehen. Nicht mehr und nicht weniger«, erklärte der Kaufmann. Ari half dem Alten, die ausgepackten Keulen mit Fleischerhaken an einer Stange über dem Feuer zu befestigen. Mit langen Fingern griff der helle Rauch nach dem Fleisch und nahm es in Besitz. Er streichelte es, glitt über die Leinensäcke, in denen die Keulen eingenäht waren, und versuchte, sie zu durchdringen. Es würde ihm wohl in den folgenden Tagen gelingen, er würde erst die Farbe des Leinensackes verändern, dann die des Fleisches und ihm am Ende seinen unverwechselbaren Geschmack

Weitere Kostenlose Bücher