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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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hervor. Lies schämte sich, den Mund so voll zu haben, nickte aber – wie lange hatte sie keinen solchen Kuchen mehr gegessen?? Und freudig lud die Hausfrau das nächste Stück auf ihren Teller.
    » Jæja «, sagte Tilli. Niemand sagte etwas. Lies fiel keine Frage ein, die sie hätte stellen können, sie wusste ja nicht mal, wie es für Elías nun weitergehen würde. Jetzt, wo sie in Höskuldstaðir hockte, in Kuchen schwelgend …
    Das Kleinkind schluchzte. Auður erhob sich und verschwand im Nebenzimmer. Draußen bellte der Hund. Ein Auto fuhr vor, Reifen gruben sich in den Schotter. Autotüren knallten, es hupte drängend.Tilli sprang auf. »Komm!«, sagte er und packte Lies am Arm, »die nehm’n uns mit!« Und noch kauend und sich fast verschluckend, rannte sie Tilli von Höskuldstaðir hinterher, der sich im Laufen eine Jacke überzog und Lies in den hinteren Teil des Rettungswagens stieß. Keinen Moment später schoss die Ambulanz los, Split wirbelte hoch, sie rasten dahin, das Martinshorn ertönte ein paar Mal laut und lästig, damit auf der Ringstraße Platz für das Notfallfahrzeug gemacht wurde, und der aufheulende Motor war das Letzte, was der weiße Hengst aus Gunnarsstaðir hörte.
    Er senkte den Kopf und fraß weiter Gras.
     
    Lies verging Hören und Sehen. Noch nie in ihrem Leben war sie in einem Rettungswagen mitgefahren, ohne Sicht auf Straße oder Außenwelt, um sich herum klappernde Schränke, Ampullen, Schläuche, Flaschen, und auch die Liege in der Mitte schaukelte bedrohlich hin und her. Die gleißend weiße Klinikfarbe tat in den Augen weh, doch schließen mochte man sie auch nicht, weil man sich dann noch hilfloser fühlte. Rücksichtslos bog das Auto auf die Piste, die nach Gunnarsstaðir führte und über die Lies vor nicht ganz zwanzig Minuten geritten war. Es rumpelte, Lies flog auf der Bank hin und her, weil sie den Griff zum Festhalten nicht gepackt bekam, da wurde eine Scheibe zur Fahrerkabine aufgeschoben und jemand bellte: »Alles in Ordnung?!«
    »Ja!«, brüllte sie gegen den Lärm zurück. Bei diesem Fahrstil wachten ja Tote auf...
    Irgendwann gelang es ihr, den Haltegriff zu packen, doch als das Auto eine unerwartete Kurve zu schnell nahm, wurde sie aus der Nische geschleudert und musste sich wohl den Kopf angeschlagen haben, denn sie wusste im ersten Moment nicht, wo sie sich befand. Weiße Liege, wei ße Wände. Motorengeheul. Der Rettungswagen. Elías lag in seinem Bett auf Gunnarsstaðir und war vielleicht schon tot, und die Scheune mit den toten Hühnern brannte.
    Auðurs Kuchen stieß ihr sauer auf. Sie hatte zu viel auf einmal gegessen, zu schnell heruntergeschlungen; der starke Kaffee, ohne Zucker, weil sie sich nicht getraut hatte, nach welchem zu fragen. Sie ertappte sich dabei, ungeduldig zu werden. Das erste Mal seit... ja, seit fast einem halben Jahr, dass sie weg von Gunnarsstaðir war und es kaum erwarten konnte, zurückzukehren. Nicht nur wegen Elías.
    Auch wegen Elías. Aber nicht nur. Und das machte ihr ein bisschen Angst. Der Ort hatte eine Sogwirkung.
    Lies sprang auf und versuchte, durch die Luke zum Fahrerhäuschen etwas zu erkennen. Grau und staubig lag die Piste vor ihnen, immer mehr Schneeflocken tanzten durch die Luft – Schnee! Es war August!
    »Gleich sin’ wir da!«, dröhnte es aus dem Fahrerhäuschen, man hatte sie wohl entdeckt.
     
    Die Scheune war weitgehend heruntergebrannt. Lies verstand jetzt, warum niemand die Feuerwehr gerufen hatte – wozu? Vielleicht gab es auch gar keine Feuerwehr in Island. Dicke Qualmwolken stiegen in den Himmel, die Flammen waren ohne Nahrung eingeschlafen. Ohne den Brand auch nur eines Blickes zu würdigen, marschierte der Notarzt mit langen Schritten ins Haus. »Im Schlafzimmer«, rief Lies ihm hinterher, doch das wusste er wohl – kranke Leute lagen meistens im Bett. Bangen Herzens folgte sie ihm. Lebte er?
    Er lebte. Blass zwar und mit besorgniserregend flacher Atmung, aber er lebte. Der Arzt hörte ihn sorgfältig ab. Dann packte er seinen Notfallkoffer auseinander, legte gewandt einen venösen Zugang in die faltige Altmännerhaut und verklebte ihn mit dickem braunen Pflaster, während der Rettungshelfer einen Infusionsbeutel anstach und den Plastikschlauch an Elías’ Venenzugang befestigte. Gespannt sahen sie für einen Moment zu, wie die Infusionsflüssigkeit herabtropfte. Es knackte, eine Ampulle wurde aufgebrochen, die Spritze aufgezogen, und der Arzt spritzte ein Medikament in den Zugang.
    Dann stand

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