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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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er auf.
    »Was genau ist passiert? Wie lange hat er am Feuer gelegen?«
    »Ich – ich weiß nicht«, stotterte Lies und versuchte sich zu erinnern. »Rauch kam aus der Scheune, ich fand ihn drinnen …«
    »Was hat er dort gemacht?«
    Sie zuckte mit den Schultern und sah voller Angst auf den alten Mann. Da nickte der Arzt und seufzte. »Wir müssen ihn mitnehmen. Rauchvergiftung, verstehst du? Er muss ins Krankenhaus.«
    »Ja«, flüsterte Lies. »Ins Krankenhaus.«
    Und dann ging alles ganz schnell – die Trage ausgepackt, ins Haus gebracht, Elías aufgeladen. Bis er im Auto auf der Liege lag, sprach er kein Wort. Dann rief er ihren Namen.
    Zum ersten Mal, seit sie auf Gunnarsstaðir war, rief er sie bei ihrem Namen.
    »Lies! Komm her!« Sie trat näher. »Lies. Hol die Schafe, bevor es schneit. Die Schafe, hol sie aus den Bergen, bevor es schneit, hörst du?«
    »Ja.«
    Für einen Moment ruhten seine trüben Augen auf ihrem Gesicht. »Gut.« Er nickte. »Gut.« Dann schloss er die Augen – erleichtert.
    Die Tür knallte zu, knirschender Schotter, Staubwolken, rote Rücklichter.
    Lies blieb allein zurück, und der Schnee tanzte in immer dicker werdenden Flocken um sie herum. »Und jetzt?«, flüsterte sie. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Ob er wiederkehrte? Er hatte schlecht ausgesehen, so schlecht wie nie zuvor, blass, schmal, wie ein Licht kurz vorm Verlöschen...
    Eins der halbwüchsigen heimalingar kam vorbeispaziert – es war das schwarze mit dem weißen Köpfchen, Broðir. Es war so groß geworden... Fragend blieb es bei ihr stehen. »Meinst du, er kommt wieder?«, flüsterte sie. Lass den Kopf nicht hängen.
    Das Lamm meckerte. Inzwischen klang das schon wie bei den erwachsenen Schafen. Wie schnell sie aufwuchsen! Lies ging in die Hocke und drehte sich in Richtung Haus, während sie das Lamm zu sich zog. Gunnarsstaðir lag verlassen dort. Kein Rauchfähnchen aus dem Schornstein, im Haus war es sicher eiskalt. Dahinter lugte die Brandruine der Scheune hervor. Ob man sie würde abreißen müssen? Wer würde das tun? Vielleicht blieb sie auch einfach so liegen, die Raben und Möwen würden sich aus den Trümmern herauszupfen, was sie brauchen konnten, und das Wetter würde den Resten den Garaus machen. So lief es doch in Island. Herumliegende Dinge versteinerten oder verschwanden. Und wenn sie liegen blieben, durfte man sie nicht anfassen – wie jene Pferdeknochen.
    Es schneite immer kräftiger, bald war der Boden bedeckt, und auch die gegenüberliegende Bergkette konnte man nicht mehr sehen. Sie steckte die Finger tief in das lockige, warme Fell des Tieres. Winter. Dabei war es grade erst Ende August. Trotzdem, bald war der Winter da. Ob Elías wiederkam? Ganz kurz dachte sie an zu Hause. Wo sich jetzt langsam die Blätter färbten und man lauschige Spaziergänge im T-Shirt unternahm und abends aber den dicken Fleece auspackte, weil die Nachtluft langsam kalt wurde, wo man in der Dämmerung leckeren Tee trank und mit Sauvignon und Schokolade selig bei Rosamunde-Pilcher-Schnulzen vor dem Fernsehen versackte. Wo Silke ihre Dias hervorkramte und nachher Doppeldeckerpizza backte. Wo die Eltern regelmäßig dem Renovierungsdrang nachgaben. Wo Packbier das alljährliche Herbstfieber ergriff und schlechte Laune, weil der Sommer schon wieder vorüber war und weil sie ihm beim Anmahnen der säumigen Steuererklärungen zu langsam war. Lies seufzte. Sie schob ›zu Hause‹ von sich. ›Zu Hause‹ war weit weg. Zu weit.
    Das Lamm blökte kräftig, stieß ihr aufmunternd den harten Schädel gegen das Bein und marschierte weiter auf der Schotterpiste in Richtung Hochland, der Himmel allein wusste, was dort lockte. Lass den Kopf nicht hängen.
    Lass den Kopf nicht hängen. Lies schlurfte ins Haus zurück. Obwohl man sonst von Elías nicht viel hörte, gähnte es vor Leere und wirkte kalt. Frierend ging Lies zum Ofen. Natürlich war er ausgegangen. Sie packte die Ölkanne, stemmte sich draußen gegen den Schneewind an der Nordecke des Hauses und füllte am Öltank ein paar Liter Öl in den Vorratsbehälter. Von der Scheune war nur ein stummer Trümmerhaufen übriggeblieben – unheimlich. Hastig ging sie ins Haus zurück und betankte den Ofen mit Brennstoff. Das Feuer flackerte träge und unentschlossen hoch, als ob es sie ärgern wollte. Schließlich brannte es aber doch, und langsam, ganz langsam kehrte Wärme in die ausgekühlte Küche von Gunnarsstaðir zurück.
    Von Aris letztem Besuch gab es noch Teebeutel.

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