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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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Erinnerung, die dieser Ort barg.
     
    An einem Morgen schließlich, etwa eine Woche nach dem Vorfall mit Elías, war der Sommer zurückgekehrt, und strahlend blauer Himmel weckte Lies. Schniefend und blinzelnd wankte sie ins Bad, das sie in den letzten Tagen so eingerichtet hatte, wie es ihr gefiel. Ein Stuhl stand darin, Handtücher lagen ordentlich gefaltet im Regal, und ihr Kulturbeutel war endlich auf dem Waschbeckenrand eingezogen. Auf der Fensterbank stand eine Kerze, die sie in einer Schublade in der Speisekammer gefunden hatte – gestern Abend hatte sie sich das erste Mal, seit sie auf Gunnarsstaðir weilte, in die Badewanne gelegt und die brennende Kerze angeschaut. Draußen hatte es zur Abwechslung mal wieder gestürmt, Hagelkörner hatten gegen die Fensterscheibe gebollert, und etwas am Dach hatte unablässig geklappert. Irgendwo hatte sie auch die Raben krächzen gehört.
    Trotzdem war es ein friedlicher Abend gewesen, sie hatte ihre Strickarbeit wieder herausgesucht, und während der Wind an einem losen Blechteil rüttelte, einen Strumpf fertig gestellt. Vor dem Zubettgehen hatte sie sich noch einen Schluck brennivin eingeschenkt und sich richtig isländisch gefühlt. Noch nachträglich musste sie grinsen, weil natürlich kein Isländer das Zeug im Bett trinkt und schon gar nicht ohne Gesellschaft. Aber Gesellschaft – nun, Gesellschaft konnte man eben nicht herbeizaubern, auch wenn man sie herbeisehnte. Wo Jói wohl steckte …
    Die Zahnbürste hatte sie in einen Kaffeebecher gestellt. Von Elías hatte sie keine Zahnbürste entdecken können. Nur einen uralten Rasierer und zwei Tuben Handwaschpaste. Hatte der mit seinem Zuckergenuss keine Karies?? Sie schrubbte weiter die Zähne und dachte darüber nach, ob er ein Gebiss trug. Oder wie viele Zähne ihm fehlten. Seltsam, wie schnell man das vergaß... seltsam.
    Sie hatte auch wieder vergessen, welche Farbe Jóis Augen hatten. Wie vom Donner gerührt hielt sie inne und starrte in den kleinen, halbblinden Spiegel, wo ihre eigenen grauen Augen mit dem Grau des Badezimmers verschwammen. Nein. Er hatte blaue Augen. Er machte alles farbig. Erleichtert schrubbte sie weiter.
    Nachdem sie das Badezimmer zweimal gründlich geputzt hatte, stank es nicht mehr so nach Urin und gesteigerter Darmtätigkeit. Kein Unrat, keine schmutzigen Klamotten auf dem Wannenrand. Auf der Wäscheleine hing außer ihrem Handtuch nichts, und das Badezimmer wirkte dadurch richtig groß. Durch das geputzte Fensterchen fiel Sonnenlicht auf den alten Webteppich, den sie mit Schmierseife gründlich gereinigt hatte. Auch das Waschbecken war so sauber, wie sie es allabendlich nach dem Durchwischen verlassen hatte. Es gab doch nichts Schöneres als ein sauberes Badezimmer. Trotzdem fehlte etwas, irgendwie.
    Gähnend bürstete sie die Haare und band sie zu einem kurzen Stummelzopf, dann cremte sie sich das Gesicht ein. Ob es heute Nachricht von Elías geben würde? Wie lange sie ihn wohl dabehalten würden? Nachdenklich betrachtete sie das Seifenstück am Beckenrand – der einzige Gegenstand im geputzten Badezimmer, der an Elías erinnerte. Plötzlich war ihr das zu wenig, sie fühlte sich einsam. Komisch. Beinahe hastig zog sie ihre Kleider über und verließ das Bad. Das Kaffeewasser in der Küche kochte noch nicht, und so streifte sie ziellos durch das Haus. Die Speisekammer war aufgeräumt. Bald wurde es Zeit für einen Ari-Besuch, die ersten leeren Stellen gähnten in den Regalen, Marmelade gab es nur noch, wenn man im Glas kratzte, und der Kaffee wurde knapp. Sie ließ den Finger über die Regalkanten gleiten und wunderte sich, wo der Staub herkam. In der Küche glänzten die Schränke, gestern hatte sie in einem Anfall von Putzwut allerhand Dinge umgeräumt. Gläser nach links, Tassen nach rechts, das Besteck in die obere Schublade, so wie es aus Frauensicht sinnvoll schien. Sicher war er nicht böse. Oder er war böse und kramte alles wieder zurück. Lies seufzte. Na wenn schon.
    » Helvíti «, sang sie leise. » Heeeeeelvíti. Þetta kemur , mein Lieber.« Ihre Stimme klang dünn, wie die eines Chormädchens, das zum ersten Mal allein singen muss.
    » Helvíti!!« Das war schon besser. Sie knallte die Speisekammertür zu, der Spitz winselte in der Diele. Schwanzwedelnd hockte er da zwischen all den Schuhen und sah sie aus verlassenen, traurigen Äuglein an. Sein Fell wirkte stumpf, die Ohren schienen zu hängen.
    »Na komm. Komm«, sagte Lies nach einigem Nachdenken. Zögernd kam

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