Der letzte Massai
vergrößern, werden wir viel mehr Hirten benötigen. Es könnte von großem Vorteil sein, uns gegen Diebstähle zu versichern, Gilbert.«
Er wurde mit einem Lächeln belohnt.
Ole Sadera und Mantira sahen zu, wie Gilbert Colchester davonritt. Als er in den Zedernwald ritt und ihren Blicken entschwand, sagte Mantira: »Was hältst du von diesem Vorhaben, Parsaloi?«
»Du kennst ihn besser als ich. Was hältst du davon?«
»Ich glaube, dass er ein Mann ist, der die Massai versteht. Ich halte es für möglich, dass er die Wahrheit spricht.« Er wandte sich Ole Sadera zu. »Aber warum fragst du? Dies ist doch die Idee, die du mir vorgeschlagen hast, als wir am Rande des großen Tals auf unsere Verhaftung gewartet haben. Damals sagtest du, wir sollten das Bruststück eines Rinds mit den Weißen teilen, damit sie uns nicht angreifen.«
»Ja, ich weiß. Aber ich bin zu der Ansicht gelangt, dass jeder Einfall, den die Weißen haben, immer besser für sie selbst ist als für die Massai. Nun muss ich meine Ansichten in Frage stellen.«
»Du und deine Ansichten. Hörst du eigentlich niemals auf nachzudenken? Mir hat diese Vorstellung schon damals nicht gefallen. Es ist noch nie vorgekommen, dass das
En-kiyieu
mit einem Weißen geteilt wurde.«
»Das ist wahr, aber diese Männer sind die Anführer der Weißen. Wenn sie bereit sind, das Bruststück eines Rinds zu teilen, dann ist die Zukunft unseres Volkes gesichert.« Ole Sadera erkannte, dass Mantira zauderte. »Dies sind schwierige Zeiten, mein Bruder. Wir müssen uns entscheiden, was wir von der Vergangenheit behalten und was wir ändern wollen. Genauso, wie wir möglicherweise den Beginn der
Eunoto
bekanntgeben müssen.«
»Das ist eindeutig die Pflicht des
Laibon.
Nun gehst du zu weit.«
»Die jungen Männer warten ungeduldig darauf, den Rang eines
Morani
zu erlangen. Es ist an der Zeit, dass die Altersgruppen aufrücken. Sollte Lenana nicht schon bald seiner Pflicht nachkommen, die
Eunoto
zu verkündigen, dann müssen wir es tun.«
»Aber das ist nun einmal nicht der Brauch, Parsaloi! Ich vermag dir zuzustimmen, was das
En-kiyieu
angeht, aber die Art und Weise zu ändern, wie wir unsere jungen Männer zu Kriegern machen … Ich fürchte, damit würden wir Kräfte entfesseln, die uns am Ende alle zerstören könnten.«
Gilbert Colchester nahm seinen Platz unter dem afrikanischen Feigenbaum ein und schob sich ein Stück Kautabak zwischen Wange und Kiefer. Das starke Aroma schoss von seinem Gaumen zu seinem Gehirn und besserte seine Stimmung schlagartig.
Es war Delameres Idee gewesen, zwei Stühle aus dem Haus den Hügel hinauftragen zu lassen, nachdem es sich herausstellte, dass das Schlachten und die Zubereitung des Ochsen einige Zeit in Anspruch nehmen würde. Colchester hätte ihm das gleich sagen können, zog es aber vor, dass sich Delamere bei dieser Sache mit der Blutsbrüderschaft allein durchkämpfte, denn es stand ihm nicht der Sinn nach einer langwierigen Unterhaltung.
Colchester hatte die Zeremonie mit den beiden Massai arrangiert, nachdem Mantira und Ole Sadera ihr Einverständnis erklärt hatten.
Es war eine Überraschung für Colchester gewesen, der es eigenartig fand, dass sie bereit waren, eine so ernste Verpflichtung einzugehen. Soweit er wusste, wurde bei den Massai eine Blutsbrüderschaft nur zwischen Gleichgestellten geschlossen und wenn beide Seiten darin in etwa die gleichen Vorteile sahen. Die Massai mochten vermuten, dass sich Delamere davon erhoffte, dass sie von nun an sein Eigentum respektierten und seine Rinder in Ruhe ließen, aber er konnte zunächst nicht nachvollziehen, welchen Nutzen sich die Massai davon versprachen. Doch schließlich begriff er im Laufe der umständlichen, höflichen Art und Weise, in der die Massai über wichtige Angelegenheiten berieten, dass die beiden Männer hinsichtlich Delameres Stellung von einer Annahme ausgingen, die nicht der Realität entsprach. Aber er war rasch zu dem Schluss gelangt, dass es für ihn und Delamere nur von Vorteil sein konnte, die Massai in diesem falschen Glauben zu lassen.
Der Ochse befand sich auf dem Kochfeuer, und das Fleisch würde schon bald für ihre Zwecke bereit sein. Colchester wusste, dass die Massai Fleisch beinahe roh verspeisten, aber daran hatte er sich nach seiner Teilnahme bei einer Reihe von vergleichbaren Zeremonien und Festlichkeiten inzwischen gewöhnt.
Delamere schien zu akzeptieren, dass er nicht zum Plaudern neigte, und so begann sich Colchester
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