Der letzte Massai
wann er sie wohl das nächste Mal besuchen würde. Er hatte viel Zeit im nördlichen Reservat verbracht und versucht, den Leuten in den schwierigen Zeiten zu helfen, die sie dort gerade durchmachten. Es war zu einem weiteren Eindringen in Siedlerland gekommen, dem die
Askaris
ein rasches Ende bereitet hatten.
Für gewöhnlich unterstützte Katherine die Siedler, aber seitdem sie durch Kira und George mehr über die Massai erfahren hatte, brachte sie größeres Verständnis für deren Belange auf.
Im Lampenlicht der Küche betrachtete Katherine Kira nachdenklich. Sie war jetzt fünfzehn Jahre alt und in den Augen der Massai eine Frau. »Wie denkst du eigentlich über das Heiraten?«, fragte sie.
Anstatt verlegen auf ihre Frage zu reagieren, überraschte Kira sie aufs Neue, indem sie über die Angelegenheit nachdachte, bevor sie antwortete.
»Ich glaube, ich könnte keinen Kikuyu heiraten.«
»Steht das denn zur Debatte?«, erkundigte sich Katherine verblüfft.
»Einige der Jungen haben Scherze darüber gemacht, aber ich weiß, dass sie nicht immer nur scherzen.«
»Nun ja … es freut mich zu hören, dass du es nicht ernst nimmst.«
»Das muss ich aber. Ich werde bald zu alt dafür sein.« Kira bemerkte Katherines gequälten Gesichtsausdruck. »Aber noch ist es nicht so weit«, sagte sie lächelnd. »Eines Tages.«
Katherine fragte sich, ob George irgendetwas über Kiras richtige Familie herausgefunden hatte. Wenn das der Fall war, bestand die Möglichkeit, dass Kira sie schon bald verlassen würde, um zu ihren Verwandten zurückzukehren.
Sie versuchte, sich das Mädchen in einer frühen Ehe vorzustellen, ein Leben voller Schinderei vor sich. Das wünschte sie niemandem, den sie gern hatte, aber offenbar hatte sich Kira über die Angelegenheit Gedanken gemacht. Irgendwann würde sie eine Entscheidung treffen müssen.
Katherine fragte sich, ob sie in der Lage sein würde, sachlich zu bleiben, wenn es so weit war.
Nashilo schmollte, aber Ole Sadera schenkte ihr keine Beachtung. Sie seufzte und posierte, doch er fuhr fort, das
Simi
zu schärfen, und ignorierte sie völlig. Schließlich gab sie auf. Die wenige Zeit, die sie mit ihm verbrachte, war zu kostbar, um sie mit albernen Spielchen zu verschwenden, damit sie seine Aufmerksamkeit gewann.
»Parsaloi, würdest du dich bitte zu mir setzen und mit mir reden?«
»Ich sitze bereits. Und ich rede, wenn du reden willst.« Er betrachtete eine Vertiefung auf der Waffe genauer, ehe er sich wieder daranmachte, Stein gegen Metall zu reiben.
Es stimmte wohl, dass sie nichts Besonderes mit ihm zu besprechen hatte, aber sie wollte nun einmal seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Es kam so selten vor, dass sie die Möglichkeit hatte, das Dorf ihres Ehemannes zu verlassen, und es gelang ihr nur deshalb, ein wenig Zeit mit Ole Sadera zu verbringen, weil sie vorgab, ihre Familie zu besuchen. Ihr Ehemann hatte beinahe die Geduld mit ihr verloren und war gewiss glücklich, sie ein paar Tage los zu sein.
Die letzte Nacht war mit der Leidenschaft erfüllt gewesen, an der sich Liebende nach einer Zeit der Trennung erfreuen. Doch sie wollte mehr. Sie wollte seine Aufmerksamkeit. Sie sehnte sich nach der Vertrautheit, die manche Frauen mit ihren Männern teilten.
»Ja, ich möchte reden. Ich möchte dich fragen, ob du etwas über die Ehe weißt.«
Er blickte von seiner Arbeit auf. »Über die Ehe? Was sollte ich schon darüber wissen?«
»Ich verstehe nicht, warum es mir erlaubt ist, mit den Altersgenossen meines Ehemannes zu verkehren, aber nicht mit dir.«
»Hmm«, brummte er und senkte seine Klinge. »Kennst du denn nicht die Geschichte von dem Krieger und seinen beiden Schwestern?«
»Warum erzählst du sie mir nicht?«
Natürlich kannte sie die Geschichte, von der er sprach – eigentlich kannte sie jeder, hatte sie, wie viele andere Geschichten auch, schon als Kind gehört –, doch sie sah darin eine Möglichkeit, seine Aufmerksamkeit zurückzugewinnen. Ole Sadera legte sein
Simi
und den Stein zur Seite und machte es sich auf dem Holzblock bequem, den er als Sitzplatz gewählt hatte. Sie wusste, dass er – wie jeder Massai – gern Geschichten erzählte.
»Es war einmal ein alter Mann, der hatte einen Sohn und zwei Töchter«, begann er. »Der Sohn wuchs zu einem Krieger heran, und die beiden Mädchen blieben unverheiratet.
Ein Krieg brach aus zwischen dem Stamm des alten Mannes und den benachbarten Massai, wo es nur wenige Frauen gab, die ein Mann zur
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