Der letzte Massai
über sich ergehen lassen musste. Die alte Frau begrüßte die beiden Krieger förmlich, und Mantira nahm zu ihren Füßen Platz, damit sie mit einer kleinen Klinge und einer Flüssigkeit aus Milch und Wasser die geflochtenen Zöpfe ihres Sohnes abrasieren konnte.
Mantira saß schweigend und entschlossen da, während die krönende Pracht seiner Kriegerjahre um ihn herum zu Boden fiel. Es war ein schmerzlicher Moment für Mutter und Sohn, da er den Grad der Trennung zum Ausdruck brachte, der zwischen dem Mann und seiner Familie herrschen würde. Als ein Ältester und ein verheirateter Mann wäre Mantira von nun an gleichermaßen mit den Eltern seiner Ehefrau verbunden wie mit seinen eigenen Eltern. Für seine Mutter war die Rasur ihres Sohnes die letzte liebevolle Pflicht, die sie jemals für ihn erfüllen würde.
Als sein Kopf nackt war, benutzte seine Mutter Milch und Wasser, um ihn zu waschen, bevor sie seine glänzende Kopfhaut mit einer Paste aus rotem Ocker und Hammelfett bestrich. Dann zog Mantira mit ausdruckslosem Gesicht seine
Shuka
zurecht. Es war wichtig, dass er sich nicht anmerken ließ, was in ihm vorging, denn es stand einem
Moran
kurz vor seinem Übergang in die Gruppe der Ältesten nicht an, zu viel von dem zu enthüllen, was in seinem Herzen vor sich ging.
Seine Mutter war sich dessen ebenfalls bewusst, und nachdem sich Mantira, wie es Sitte war, für all die Dinge bei ihr bedankt hatte, die sie in ihrem Leben für ihn getan hatte, nickte die alte Frau lediglich bestätigend. Aber als er sich zum Gehen wandte, da fasste sie nach seiner Hand und küsste sie. Ein peinlicher Moment verstrich, in dem Mantira versuchte, seine Hand aus dem festen Griff seiner Mutter zu ziehen. Es war ihm anzusehen, welch eine Pein es ihm bereitete.
Er flüsterte seiner Mutter etwas zu und vermochte dann ihre knochigen Finger zu lösen. Als sie davonschritten, folgte ihnen ihr lautes Schluchzen.
»Du siehst krank aus, George«, sagte Lewis, als sie die Straße nach Ngong entlangritten. »Quälen dich deine Brustbeschwerden?«
»Nein, meiner Brust geht es gut.«
»Bekommst du nicht genug Schlaf?«
Coll seufzte. »Doch, Doktor, ich bekomme genug Schlaf. Können wir jetzt bitte das Thema wechseln? Der Tag ist zu schön, um sich mit so langweiligen Dingen wie meiner Gesundheit zu beschäftigen.«
Coll mochte es bestreiten, aber Lewis wusste dennoch, dass es seinem Freund nicht gutging. Er atmete schwer, und auch wenn es ein warmer Tag war, so schwitzte er doch mehr, als man erwarten sollte. Lewis schlug vor, eine Rast einzulegen, um sich die Beine zu vertreten. Sie brachten ihre Pferde auf einer Anhöhe zum Stehen, die ihnen einen Blick über die Hügel erlaubte, die die südwestliche Grenze des Nairobi-Bezirkes markierten.
»Mein Gott«, sagte Lewis, der aufrecht in seinem Sattel saß. Jenseits der Ausdehnung graugrüner Bäume erstreckten sich schimmernde Gräser wie ein gelber, welliger Teppich bis zum Horizont. Darüber erhob sich ein erstaunlich blauer Himmel, der getüpfelt war mit makellosen weißen Wolken. »Unglaublich«, fügte er hinzu. »Ich hatte ja keine Ahnung … Ich bin froh, dass du mich gebeten hast, dich heute zu begleiten, George. Du weißt ja, dass ich noch nie hier draußen gewesen bin.«
»Und bisher auch noch kein
Eunoto
-Fest mit angesehen hast, wie ich annehme.«
»Völlig richtig.«
»Ich auch noch nicht. Welch eine Erleichterung, dass Edouard das Verbot aufgehoben hat.«
Sie stiegen von ihren Pferden und banden sie an die nackten Zweige eines holzigen Busches.
»Ich weiß nicht, welche Absicht dahintersteckt«, sagte Lewis und streckte sich. »Er tut selten etwas aus uneigennützigen Motiven, aber ich habe Augen und Ohren offen gehalten und nichts in seiner Korrespondenz entdecken können, was darauf schließen lässt, dass er etwas im Schilde führt.«
»Ich hoffe, du bist vorsichtig, wenn du in seinem Amtszimmer herumschnüffelst.«
»Ich bin mir sicher, dass er keinen Verdacht hegt.«
Sie entdeckten einen umgefallenen Baumstamm und setzten sich.
»Sieh dir nur dieses wunderschöne Land an«, sagte Lewis. »Ich sollte öfter in den Busch hinausreiten, aber es gibt immer Berge von Papierkram zu erledigen.«
Bienen von einem in der Nähe befindlichen wilden Bienenstock summten im Gras.
»Bist du Lenana schon begegnet, seit er zum obersten Anführer ernannt wurde?«, erkundigte sich Lewis.
»Nein«, erwiderte Coll. »Diese Ernennung bereitet mir aber
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