Der letzte Massai
zu ändern.
»Es ist spät«, sagte er und streckte die Hand nach dem Türgriff aus.
Wie gern hätte sie ihre Arme um ihn gelegt und ihm versichert, dass sich alles wieder einrenken ließe, was auch immer geschehen sein mochte.
»George, bitte. Sagen Sie mir doch, was Sie bedrückt.«
Er öffnete den Mund, um zu sprechen, presste jedoch die Lippen wieder zusammen. Sie hätte am liebsten die Worte aus ihm herausgeschüttelt.
»George, Sie sollten nicht mehr so spät unterwegs sein. Es ist zu gefährlich.«
Er zog seinen Arm zurück, als sie ihn sanft mit der Hand berührte. »Nein«, stieß er hervor und kollidierte beim Zurückweichen mit dem Türrahmen. »Ich … Ich kann nicht.«
Er fummelte am Riegel herum. »Ich muss fort«, sagte er, riss die Tür weit auf und eilte mit großen Schritten auf sein Pferd und den Wagen zu.
»George«, sagte sie, aber ihre Stimme war so leise, dass er sie unmöglich hören konnte. Ehe sie es sich versah, befand sich sein Wagen auf dem Weg in die Dunkelheit.
Coll verbrachte den Tag nach seiner Flucht vor Katherine – denn es gab keine andere Möglichkeit, es zu beschreiben – in dem kleinen düsteren Wohnzimmer seines gemieteten Hauses, von dem aus man auf den Rangierbahnhof schaute. Es fehlte ihm an der nötigen Kraft, sich zu bewegen. Erst als ein Zug durch eine Schneise, die eine halbe Meile vom Bahnhof in Nairobi entfernt war, rumpelte, wurde ihm klar, dass es mitten am Nachmittag war und er noch nichts gegessen hatte.
Er erhob sich und trat zu dem kastenförmigen Küchenanbau. Ihm war schwindelig, was entweder daran lag, dass er hungrig war, oder an den langen, schlaflosen Nächten, erfüllt von dem bitteren Nachgeschmack all der falschen Entscheidungen, die er in seinem Leben getroffen hatte. Wenn er tatsächlich einmal in einen unruhigen Schlaf fiel, quälten ihn lebhafte Träume.
Er zündete den Ofen an und füllte den Kessel. Während er darauf wartete, dass das Wasser zu kochen begann, setzte er sich an den Tisch und ging in Gedanken noch einmal die Ereignisse des Vortages durch.
Es war eine falsche Entscheidung gewesen, alle Vorsicht fahren zu lassen, als er Katherine verletzt und hilfsbedürftig vorgefunden hatte. Da war ein Moment gewesen, in dem er hätte zurücktreten und das Unausweichliche vermeiden sollen, doch dann hatten sich ihre Lippen getroffen. Und nun konnte es niemals wieder so sein, wie es einmal gewesen war.
Eigentlich wollte er das auch gar nicht, aber er durfte sich auf keine romantischen Verstrickungen einlassen. Egal, wie sehr er sich danach sehnte. Die Angst war zu groß. Dies war gefährliches Terrain.
Er durfte nicht zulassen, dass sich eine Frau in ihn verliebte – oder ihn auch nur begehrte.
Traurigkeit überkam ihn. Er hatte Katherine diese Intimität erlaubt, sie sogar dazu ermutigt. Bis zu diesem Augenblick hatte sie ihre Gefühle unter Verschluss gehalten. Doch in diesem Kuss hatte er ihr Verlangen gespürt, und damit war jegliche Vortäuschung einer bloßen Freundschaft zu einer Unmöglichkeit geworden. Es musste sie großen Mut gekostet haben, ihm ihr tiefstes Inneres zu offenbaren. Welch ein Schock und eine Demütigung musste es für sie gewesen sein, als er so unvermittelt den Rückzug angetreten hatte.
Es würde niemals mehr so sein wie früher, und er wusste, dass er Katherine nie wieder gegenübertreten konnte.
Er stand auf, um das kochende Wasser in die Teekanne zu gießen, musste aber feststellen, dass er vergessen hatte, den Kessel auf den Ofen zu stellen.
Kapitel 26
D ie
Eunoto
-Feierlichkeiten begannen, unmittelbar nachdem die Frauen die für diesen festlichen Anlass besonders ausgedehnte
Manyatta
in Ngong errichtet hatten. Sechshundert Massai-
Moran
versammelten sich in ihrer Kriegstracht aus allen Ecken des Massai-Landes zur Vorbereitung des Ereignisses.
Die Krieger waren geschmückt mit perlenbesetzten Fußringen und Amuletten, Stirnbändern und Ohrringen, die für diesen besonderen Anlass von Müttern und Freundinnen angefertigt worden waren. Sie trugen Schilde aus Büffelleder, die bemalt waren mit den Insignien ihrer Altersgruppe und ihres Stammes, und lange Speere mit breiter Klinge. Kurze
Simis
hingen in Lederhalterungen an ihrer Taille, und sie waren mit der knappen
Shuka
des Kriegerstandes bekleidet, die kaum ihre Nacktheit verhüllte und häufig ihr Gesäß entblößte, wenn sie in langen Reihen über die Savanne zogen. Diejenigen
Moran,
die schon einmal einen Löwen mit dem eigenen Speer
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