Der letzte Massai
halten.
»Würdest du wegen dieser Angelegenheit einen Krieg beginnen, mein Freund?«, erkundigte sich Mantira.
Ole Sadera ließ von seinem geheuchelten Interesse an den Aktivitäten im Lager ab und wandte sich Mantira wieder zu. »Gibt es denn heutzutage nichts mehr, wofür es sich zu kämpfen lohnt?«, fragte er. »Es hat einmal Zeiten gegeben, als wir beide ohne die Gewissheit auf Erfolg in den Kampf gezogen sind. Wir wussten, dass es keine Schande ist, zu verlieren. Auf dem Bauch zu liegen, wenn einem alles genommen wird, was einem wichtig ist, dagegen schon.« Er starrte Mantira zornig an.
Mantira reagierte gereizt. »Hast du etwa Lenanas letzte Worte vergessen? Hast du vergessen, dass sein Vater, der
Große Laibon,
auf seinem Sterbelager ebenfalls eine Prophezeiung gemacht hat? Die eiserne Schlange ist gekommen, wie er es vorausgesagt hat, und sie hat die Weißen mit ihren Krankheiten und ihrer Macht gebracht. Lenana hat uns auch prophezeit, dass uns Ungemach droht, sollten wir dem Ersuchen des Gouverneurs, nach Süden zu ziehen, nicht nachkommen. Wir dürfen dies nicht ignorieren.«
Ole Sadera schwieg verdrießlich.
»Wenn ich dich nicht überzeugen kann, meinen Rat als Freund zu befolgen, wirst du ihn dann annehmen, um mein Ansehen bei den Ältesten als ihr A
ulononi
zu retten?«
»Was willst du damit sagen?«
»Alle Purko wissen, dass wir seit vielen Jahren Freunde sind. War nicht ich es, der für dich eingestanden ist, als deine Altersgenossen dir das Leben in der Kindheit mit ihren Sticheleien zur Hölle gemacht haben? Und sie wissen, dass ich nun für einen Umzug nach Süden bin und dass du dagegen bist. Und auch, dass ich in der Absicht in dein Lager gekommen bin, dich von deiner Meinung abzubringen. Was werden sie sagen, wenn ich ohne deine Zustimmung und mit der Aussicht auf Krieg und Schmach zu ihnen zurückkehre? Sie werden zu Recht sagen:
Wie sollen wir unseren
Aulononi
weiterhin ehren, wenn nicht einmal sein Freund aus Kindertagen die Weisheit seiner Worte anzuerkennen vermag?
«
Ole Sadera wurde immer zorniger. Es machte ihn wütend, dass Mantira ihre Freundschaft auf solch schamlose Weise ausnutzte. Er wandte sich von ihm ab.
»Du hörst mir nicht zu, Parsaloi.« Er packte Ole Sadera an der Schulter und drehte ihn zu sich um. »Das hier ist wichtig für die Purko-Massai. Es ist wichtig für unsere Altersgruppen, für die Würde der
Moran.
Bist du so selbstsüchtig, dass du unseren Frieden deinem Stolz opfern würdest? Hör mir zu. Wenn du mir auch nicht mit dem Herzen zuzustimmen vermagst, so schenke mir zumindest dein Ohr.«
Ole Sadera zog sein
Simi
aus der Scheide, hielt es für einen Moment vor Mantiras bestürzt dreinblickendes Gesicht, packte dann sein eigenes Ohrläppchen und trennte es ab. Mantira zuckte zurück, als das Blut aus der Wunde hervorschoss.
Ole Sadera reichte ihm feierlich das abgetrennte Stück Fleisch. »Hier hast du mein Ohr, und wenn du es so wünschst, dann hast du auch meine Einwilligung, von unserem Land wegzuziehen.«
Coll traf in der
Manyatta
der Il Tuati ein. Es gelang ihm rasch, Ole Sadera auszumachen, der in eine Unterredung mit einer Gruppe seiner
Moran
vertieft war. Als er Coll am
Boma
-Tor erblickte, schritt Ole Sadera sogleich auf ihn zu, um ihn zu begrüßen.
»Swara. Du bist wieder zurück.«
Es lag wenig Begeisterung in seiner Stimme. Coll vermutete, dass er sich denken konnte, warum er gekommen war. Dann sah er das blutverkrustete linke Ohr des Massai.
»Parsaloi! Was ist geschehen? Warst du in einen Kampf verwickelt?«
Ole Sadera griff sich unwillkürlich an die verletzte Stelle. »Das ist nicht von Bedeutung«, sagte er abweisend. »Dein Weg führt dich dieser Tage häufig nach Entorror.«
»Das ist wahr«, erwiderte Coll und trat zurück, um sich das Ohr aus einem anderen Blickwinkel anzusehen. Er wusste, dass es zwecklos war, nach dem Grund für die Verletzung zu fragen. »Manchmal kommt mir Laikipia wie mein zweites Zuhause vor.«
Ole Sadera nickte. »Es wird schon bald mehr dein Zuhause sein als das meine.«
»Nein«, erwiderte Coll. »Ich verstehe, was du damit meinst, aber die Regierung hat die Laikipia-Hochebene niemandem versprochen.«
Ole Sadera enthielt sich eines Kommentars.
»Ich bin noch einmal gekommen, weil Mantira mir sagte, ich solle mit dir reden.«
»Und das tun wir ja auch«, erwiderte Ole Sadera. Sein Gesicht gab nichts preis.
»Er sagte, er habe dich nicht von den Vorteilen eines Umzugs in den Süden
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