Der letzte Massai
scherten sich nicht darum, ob ein älteres Stammesmitglied krank oder erschöpft war. In einem Fall musste die Karawane warten, während eine Frau ein Kind zur Welt brachte. Nashilo war erschüttert, als der Säugling tot geboren wurde. Sie konnte nur dankbar sein, dass ihre Zeit erst zum Ende der Reise nach Ngatet kommen würde.
Es gab einen weiteren beunruhigenden Aspekt an den Besuchen der
Askaris,
der Nashilo erst kürzlich bewusst geworden war. Der Soldat namens Ploog begann ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Er berührte Nashilo häufig, wenn er ihr die mageren Portionen
Posho
für sie selbst und Ntooto reichte. Sie bekam eine Gänsehaut, wenn er dies tat, doch sie verharmloste ihre Ängste, weil Okelia ihre Nervosität spürte und Ploog mit kaum verhohlener Abscheu musterte.
»Ich mag den da nicht«, sagte er und wies zu dem Sergeant hinüber, der mit seinem Begleiter zusammenstand und schallend über irgendeinen Scherz lachte, den er gemacht hatte. »Groß und fett und hässlich«, brummte er.
»Sei vorsichtig, Okelia. Er ist leicht reizbar. Tu es mir gleich. Ignoriere ihn einfach.«
Aber es war nicht leicht, Ploog zu ignorieren. Nachdem er sie einmal am Arm gepackt und an seinen stinkenden Körper gepresst hatte, hatte sie eine ihrer Schwester-Ehefrauen gebeten, das Essen abzuholen, während sie außer Sichtweite blieb und sich um die kleineren Kinder kümmerte.
Nashilo hatte kein gutes Gefühl, wenn sie an das dachte, was vor ihr lag.
Die trockene Ebene, die keinerlei Besonderheiten aufwies, erstreckte sich bis zum Horizont. George Coll fragte sich, wie man in einer solchen völligen Trostlosigkeit leben sollte. Aber dies hier war das Land, das die Massai Ngatet nannten. Das Land, das ihnen anstelle des üppigen Laikipia-Plateaus versprochen worden war.
Coll entdeckte einige der neuen Dämme, die der Wasserspeicherung dienten, doch die Speicherseen waren leer. Der District Commissioner teilte ihm mit, dass die Regenzeit im Süden noch nicht begonnen habe und sie manchmal völlig ausblieb. Das war nicht ungewöhnlich. Die Jahreszeiten waren launisch, und sogar in guten Jahren waren Wasser und Futter knapp.
Coll war in großer Sorge. Es war kaum Gras vorhanden. Ein europäischer Farmer hätte gar nicht erst den Versuch unternommen, sein Auskommen auf solch schlechtem Land zu bestreiten, aber die Massai waren ja nicht auf Gewinn aus, sondern ihr Leben hing vom Überleben ihres Viehs ab.
In früheren Dürrezeiten hatten sie ihr Vieh auf eine ihrer zahlreichen Weideflächen geführt, die sie in der Trockenperiode nutzten. Falls auch diese unbrauchbar war, trieben sie die Tiere Richtung Norden durch das Great Rift Valley manchmal bis nach Entorror und zum Laikipia-Plateau hinauf. Im Prinzip erlaubte der in der Vereinbarung von 1904 versprochene Korridor, der das nördliche und das südliche Reservat verband, eine solche Wanderung nach wie vor, aber der Korridor war nie offiziell definiert worden, und der Gouverneur hatte einen Teil des Landes Siedlern zugewiesen. Und es war Massai-Hirten verboten, ihr Vieh über das Land irgendeines Siedlers zu führen.
Auf der gesichtslosen Ebene verbarg eine kleine Erhöhung ein flaches Tal, in dem Coll eine Rinderherde entdeckte, die sich über eine weite Fläche verteilte. In der Mitte der Herde befanden sich eine Handvoll Hütten, die von einem schmalen Dornbusch-
Boma
umgeben waren.
Coll führte sein Pferd auf die Gruppe von Männern zu, die gerade eine Kuh brandmarkten. Sie begrüßten ihn verhalten. Der Besuch eines Mitglieds der Verwaltungsbehörde hatte für sie meist Unannehmlichkeiten zur Folge, doch er erwarb sich ihr Vertrauen, als er sich mit ihnen in ihrer eigenen Sprache unterhielt und sich nach der Kuh erkundigte, die ihm für eine solche Prozedur eigentlich zu alt zu sein schien.
Die Männer erklärten, dass es sich nicht um ein Brandmarken handele. Der Medizinmann versuchte, das Tier von einer merkwürdigen Krankheit zu heilen, die seit kurzem viele ihrer Tiere tötete.
Ein Gefühl der Beklommenheit stieg in Coll auf.
Die Regierung hatte es bislang versäumt, die Stelle für den im Süden verantwortlichen Viehinspektor neu zu besetzen, nachdem der Vorgänger vor einigen Monaten gekündigt hatte. Es war eine gefährlich Situation, da die Büffel, die die Serengeti auf ihrer jahreszeitlich bedingten Wanderung durchquerten, fremdartige Rinderkrankheiten mit sich brachten. Coll schritt auf die Kuh zu, die auf dem Bauch lag und
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