Der letzte Massai
Marsch war für die Alten und Schwachen nicht allzu anstrengend.
Mütter schleppten ihre Säuglinge auf dem Rücken, und kleine Kinder wurden inmitten von hin und her schwankenden Topfstapeln und Kalebassen auf Esel gesetzt. Ältere Kinder teilten sich unter Okelias aufmerksamen Blicken die Hirtenpflichten. Ältere, die gesund genug waren, um Steine nach Hyänen zu werfen, halfen, wo immer sie konnten.
Kinder, die alt genug waren, um die Bräuche ihres Volkes zu kennen, fragten, warum sie so weit zogen und warum sie nicht gleich hier ihr Dorf errichteten. Sie waren, so weit das Auge reichte, von saftigem Gras umgeben, und Wasser war zur Genüge vorhanden. Einige fragten sich sogar, warum sie überhaupt von den guten Weideflächen Rumurutis weggegangen waren.
Aber als sich die Tage hinzogen und die tägliche Suche einer geeigneten Lagerstätte, das Errichten einer behelfsmäßigen
Boma
zum Schutz vor Raubtieren, das Füttern der Kinder und der Tiere immer mehr Zeit in Anspruch nahm, wurden die Fragen seltener. Die sich in der Ferne abzeichnende graue Linie des Mau-Steilhangs – das Tor zum südlichen Reservat – schien ebenso weit entfernt wie an dem Tag, an dem sie Rumuruti verlassen hatten. Sie kamen immer langsamer voran.
Es waren nicht die langen, mit Marschieren angefüllten Tage, gefolgt von den vielen Stunden der Suche nach Feuerholz, die Nashilo das Herz schwer werden ließen. Und auch nicht die finsteren Blicke der
Askaris,
wenn sie eine Rast einlegten. Und auch nicht die Abende, wenn die Löwen brüllten und die Kinder unruhig wurden und Zuwendung benötigten. Es waren die Gesichter ihrer Leute, die die Gründe für diesen Umzug nicht verstanden und hin- und hergerissen waren zwischen ihrem Wunsch, in Rumuruti zu bleiben, und den Befehlen ihrer Anführer, sich auf diese scheinbar sinnlose, endlose Reise in ein unbekanntes Land zu begeben. Diese Gesichter verloren ihren sonst so fröhlichen, erwartungsfrohen Ausdruck.
Und während Nashilo die lange, schmale Schlange aus Menschen und Tieren enlanghastete, erst der einen sich abmühenden Familie half und dann der anderen, konnte sie sehen, wie die sonst ihrem Volk so eigene stoische Entschlossenheit, jedwede Mühsal, die ihm widerfuhr, zu bewältigen, aus ihren Augen schwand.
Und dieses elende Gefühl verstärkte sich noch, wenn sie daran dachte, dass sich auf der gesamten Laikipia-Hochebene ähnliche Szenen abspielten, während Tausende ihres Volkes wie trockenes, entwurzeltes, vom Wind verwehtes Unkraut über die Savanne zogen.
Nashilo sah und hörte selten etwas von ihrem Ehemann. Tagsüber trieb er die Rinder an, und nachts schlief er in ihrer Nähe, um Raubtiere abzuwehren. Seine anderen Ehefrauen – Nashilos drei Schwester-Frauen – hatten alle kleine Kinder, und Nashilo gab sich alle erdenkliche Mühe, ihnen beizustehen. Die meisten Frauen des Trecks in den Süden waren damit vertraut, sich während der Abwesenheit der Männer mit den Kindern und den Alten allein durchzuschlagen.
Parsaloi, der sich in Begleitung einer kleinen Gruppe von Kriegern befand, behielt ihre kleine Karawane in der Anfangszeit im Auge. Nashilo sah ihn gelegentlich auf einem fernen Hügel. Sie vermochte nicht zu sagen, woher sie wusste, dass es sich um Parsaloi handelte, aber sie spürte seine Gegenwart. Dann kam ein Tag, an dem sie fühlte, dass er weitergezogen war. Einige Tage vergingen, und er tauchte nicht wieder auf, nicht einmal in der Ferne. Sie versuchte, nicht mehr länger darüber nachzudenken, wo er stecken mochte und warum er plötzlich verschwunden war, versuchte, ihn gänzlich aus ihren Gedanken zu verbannen, doch es gelang ihr nicht.
Da Okelia mit den Schafen und Ziegen beschäftigt war, blieb Nashilo nur noch Ntooto zur moralischen Unterstützung. Die Kräfte der alten Frau ließen nach, und es gab nicht viel, was sie tun konnte, aber ihre Anwesenheit half Nashilo dabei, sich von ihrer Einsamkeit abzulenken.
Die
Askaris
erschienen jeden Tag und verteilten kleine Päckchen mit Lebensmitteln, die die Regierung zur Verfügung stellte. Sie reichten nie aus, doch die Frauen ergänzten sie mit dem, was sie bei sich trugen und was sie im Busch finden konnten.
Die Besuche der
Askaris
waren ein zweifelhafter Segen, denn sie erhielten von ihnen nicht nur Essen, sondern auch die strenge Mahnung, schneller voranzukommen – egal, mit welchen Schwierigkeiten sie sich herumplagen mussten oder wie unbarmherzig das Wetter und das Gelände auch sein mochten. Sie
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