Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Liebenswürdigkeit in den Augen des jungen Häuptlings, dessen Farbe und dessen Schmerz dem ihrigen so ähnlich scheine, wenn sie auch weit entfernt blieben, einen solchen Vorzug deutlich auszusprechen. Doch war es klar, dass sie Alice nicht so hoch stellten, als das Mädchen, um welches sie trauerten. Sie versagten ihr jedoch keinen Ruhm, den ihre seltenen Reize ansprechen durften. Ihre Locken wurden mit den üppigen Ranken der Weinrebe, ihr Auge mit dem blauen Himmelsgewölbe verglichen, und das fleckenlose Gewölk, von dem glühenden Hauche der Sonne gerötet, war nicht so reizend als die Blüte ihrer Wangen.
Während dieser und ähnlicher Klagelieder hörte man nichts als das Gemurmel des Gesanges, gehoben oder vielmehr furchtbar gemacht durch die gelegentlichen stärkeren Ausbrüche des Grames, die gleichsam ein Chor genannt werden konnten. Die Delawaren horchten, wie von einem Zauber gefangen, und das wechselnde Spiel ihrer ausdrucksvollen Mienen gab kund, wie tief und innig ihr Mitleid war. Selbst David lieh willig sein Ohr den Tönen so lieblicher Stimmen, und lange bevor der Gesang zu Ende war, verkündete sein Blick, wie tief sein Gemüt im Hören gefesselt war.
Der Kundschafter, dem allein unter den anwesenden Weißen diese Worte verständlich waren, erhob sich etwas aus seiner nachdenklichen Stellung und neigte sein Haupt zur Seite, um den fortlaufenden Sinn derselben aufzufassen. Als sie aber von den künftigen Aussichten Coras und Uncas sangen, schüttelte er den Kopf, wie einer, der die Irrtümer ihres schlichten Glaubens wohl erkannte, und nahm dann wieder seine zurückgelehnte Stellung an, in ihr verharrend, bis die Zeremonie zu Ende war – wenn man Zeremonie eine Handlung nennen darf, die von so tiefem Gefühl zeugte. Heyward und Munro verstanden, zum Glück für ihre Fassung, den Sinn der eben vernommenen wilden Laute nicht.
Chingachgook allein bildete eine Ausnahme unter den so tief ergriffenen übrigen Eingeborenen. Sein Blick wechselte nie während des ganzen Auftritts, selbst bei den wildesten oder feierlichsten Teilen der Wehklage bewegte sich keine Muskel in seinem starren Antlitz. Die kalten, leblosen Überreste seines Sohnes waren ihm alles, und jeder andere Sinn, außer dem Gesichtssinn, schien erstorben, während sein Auge zum letzten Male nach den so lange geliebten Zügen schaute, deren Anblick ihm bald für immer entrissen werden sollte.
Jetzt trat ein Krieger, berühmt durch seine Waffentaten, besonders aber durch seine Leistungen in dem letzten Kampfe, ein Mann von ernster, würdevoller Haltung, langsam aus der Menge hervor und stellte sich vor den Toten.
»Warum hast du uns verlassen, Stolz der Wapanachki?«, sprach er, sich an die tauben Ohren des jungen Mohikaners wendend, als ob die leere Hülle noch die Fähigkeiten des Lebenden besäße, »deine Zeit war die der Sonne, solange sie hinter den Bäumen ist; dein Ruhm war glänzender, als ihr Licht um die Mittagszeit. Du bist dahingegangen, junger Krieger, aber hunderte von Wyandots räumen die Brombeersträuche von deinem Pfade nach der Welt der Geister. Wer sah dich in der Schlacht und glaubte, dass du sterben könntest? Wer vor dir hat Uttawa den Weg in die Schlacht gezeigt? Deine Füße waren gleich Adlerschwingen; dein Arm schwerer als Äste, die von der Fichte fallen, und deine Stimme glich der Stimme Manitus, wenn er in den Wolken spricht. Die Zunge Uttawas ist schwach«, fügte er hinzu, indem er mit traurigem Blick um sich schaute, »und sein Herz wird ihm schwer. Stolz der Wapanachki, warum hast du uns verlassen?«
Ihm folgten der Reihe nach andere, bis die meisten der hohen und begabten Männer der Nation sprechend oder im Gesang den Manen des dahingeschiedenen Häuptlings das Opfer ihrer Lobpreisungen dargebracht hatten. Als sie zu Ende waren, herrschte abermals atemlose Stille über der ganzen Versammlung.
Jetzt ließ sich ein leiser, tiefer Ton vernehmen, ähnlich der gedämpften Begleitung einer fernen Musik. Er war laut genug, um hörbar zu werden, blieb aber so unbestimmt, dass man so wenig wusste, woher er kam, als was er bedeutete. Er stieg jedoch höher und höher, bis er zuerst in lang ausgehaltenen, oft wiederholten Ausrufungen und endlich in Worten deutlich in das Ohr der Hörer drang. Die Lippen Chingachgooks hatten sich nun soweit geöffnet, dass man erkannte, es sei des Vaters Trauergesang für Uncas. Obgleich kein Auge sich nach ihm wandte, nicht das geringste Zeichen der Ungeduld laut wurde, so
Weitere Kostenlose Bücher