Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Ich frage Euch, welche Autoritäten habt Ihr für eine so unchristliche Behauptung?« (Gleich anderen Verteidigern eines Systems war David nicht immer genau in der Wahl seiner Ausdrücke.) »Nennt Kapitel und Vers: In welchem der heiligen Bücher findet Ihr einen Text, welcher für Euch spräche?«
»Buch!«, wiederholte Falkenauge mit auffallender, unverhohlener Verachtung; »haltet Ihr mich für einen wimmernden Knaben, der einer Eurer alten Großmütter an der Schürze hängt; und die gute Büchse auf meinem Knie da für eine Gänsefeder, mein Pulverhorn für ein Tintenfass und meine Jagdtasche für ein kariertes Taschentuch, mein Essen drin in die Schule zu tragen? Was? Buch? Was hab’ ich, ein Krieger der Wildnis, obgleich ein Mann von reinem Blut, mit Büchern zu schaffen? Ich las immer nur in einem , und die Worte, welche in diesem geschrieben sind, sind zu einfach und zu klar, um vieler Schulen zu bedürfen; und doch kann ich mich rühmen, vierzig lange und harte Jahre darin gelesen zu haben.«
»Was meint Ihr da für ein Buch?«, fragte David, der des andern Meinung nicht recht verstand.
»Es liegt offen vor Euren Augen«, erwiderte der Kundschafter, »und der Eigentümer ist nicht karg damit, lässt gerne darin lesen. Ich hörte schon sagen, es gebe Leute, die in Büchern lesen, um sich zu überzeugen, dass ein Gott ist. Es ist möglich, dass sie in den Niederlassungen seine Werke so verunstalten, dass das, was in der Wildnis so klar und deutlich vor Augen liegt, unter Krämern und Priestern zweifelhaft wird. Wenn’s einen solchen gibt und er will mir von einer Sonne zur anderen durch die Windungen der Wälder folgen, so soll er genug sehen, um sich zu überzeugen, dass er ein Narr ist, und dass seine größte Narrheit darin besteht, an ein Wesen hinanreichen zu wollen, dem er niemals, weder an Güte noch an Macht, gleichkommen kann.«
Sobald David merkte, dass er mit einem stritt, der seinen Glauben aus Naturanschauungen geschöpft habe und sich auf keine Spitzfindigkeit der Lehre einließ, so gab er gerne einen Kampf auf, in dem er weder Vorteil noch Ehre ernten konnte. Während der Kundschafter sprach, hatte auch er sich gesetzt, und das allzeit bereite Büchlein nebst der in Eisen gefassten Brille hervorziehend, schickte er sich an, seine Pflicht zu erfüllen, die allein infolge des unerwarteten Angriffs auf seine Rechtgläubigkeit so lange unerfüllt geblieben war. Er war in der Tat ein Minstrel des westlichen Kontinents in einer weit späteren Zeit als jene begeisterten Barden, welche früher den profanen Ruhm eines Freiherrn oder Fürsten besangen; aber er war ein Barde im Geiste seiner Zeit und seines Landes, und jetzt im Begriff, den soeben errungenen Sieg zu verherrlichen, oder vielmehr einen Lobgesang dafür anzustimmen. Er wartete geduldig, bis Falkenauge ausgeredet hatte, und begann, seine Augen erhebend, mit lauter Stimme:
»Ich lade euch ein, meine Freunde, euch mit mir zu einem Lobgesang für die wunderbare Errettung aus den Händen der Barbaren und Ungläubigen zu vereinigen, nach der kräftigen und feierlichen Melodie, genannt ›Northampton‹.«
Er benannte darauf Seite und Vers, wo die von ihm gewählten Strophen zu finden waren und brachte die kleine Pfeife an seine Lippen mit einem so würdevollen Ernste, als ob er in der Kirche sich befände. Diesmal blieb übrigens seine Stimme ohne Begleitung: Denn die beiden Schwestern erfreuten sich noch an jenen zärtlichen Liebesbeweisen, von denen wir bereits gesprochen haben. Nicht abgeschreckt durch die kleine Zuhörerschaft, welche in Wahrheit nur aus dem verdrießlichen Kundschafter bestand, erhob er seine Stimme, begann und endete seinen heiligen Gesang, ohne durch irgendetwas unterbrochen zu werden.
Falkenauge hörte zu, während er seinen Flintenstein zurechtmachte und seine Büchse wieder lud; aber die Töne, welche durch keine Szenerie und keine verwandte Empfindung unterstützt wurden, vermochten nicht, seine schlummernden Gefühle zu wecken. Nie hatte ein Minstrel, oder welchen passenderen Namen man David geben wollte, vor unempfänglicheren Zuhörern seine Talente entwickelt, und doch, sah man auf die Einfalt und Innigkeit seiner Andacht, so drang wahrscheinlich noch keines Barden Gesang so unmittelbar zu dem Throne dessen, dem allein Preis und Ehre gebührt. Der Kundschafter schüttelte den Kopf, murmelte einige unverständliche Worte, unter denen »Kehle« und »Irokese« allein vernehmbar waren, und ging weg, um das
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