Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
so sehen wir doch noch keine Veranlassung, jene in Anwendung zu bringen.«
Montcalm verbeugte sich seinerseits leicht, aber mit der Miene eines Mannes, der zu erfahren ist, um auf die Sprache der Schmeichelei zu hören. Nach kurzem Nachsinnen fuhr er fort:
»Möglich, dass meine Gläser mich täuschten, und dass Ihre Werke unserem Geschütze besser widerstehen, als ich geglaubt hatte. Sie kennen unsere Stärke?«
»Unsere Berichte lauten verschieden«, antwortete Duncan nachlässig, »aber die höchsten schätzen Ihre Macht auf nicht mehr als zwanzigtausend Mann.«
Der Franzmann biss sich in die Lippen und fasste den anderen scharf ins Auge, als ob er in seinen Gedanken lesen wollte; dann fuhr er mit der ihm eigentümlichen Gewandtheit fort, als ob er die Richtigkeit einer Angabe, welche die Stärke seines Heeres verdoppelte, anerkenne.
»Es ist ein schlechtes Kompliment für uns Soldaten, mein Herr, dass wir, was wir auch angewandt, unsere Zahl nicht haben verbergen können. Wenn es irgendwo möglich wäre, so glaubte ich, es müsste in diesen Wäldern geschehen können. Wenn Sie es aber auch für zu früh halten, auf die Stimme der Menschlichkeit zu hören«, fuhr er arglistig lächelnd fort, »so darf ich doch glauben, dass die Galanterie bei einem jungen Manne wie Ihnen ihr Recht finden wird. Die Töchter des Kommandanten sind, wie ich höre, in das Fort gekommen, seit es eingeschlossen ist.«
»Es ist wahr, Monsieur; aber weit entfernt, unseren Mut zu schwächen, geben sie uns in ihrer eigenen Seelenstärke ein Beispiel des Mutes! Bedürfte es nur der Entschlossenheit, um einen so vollendeten Kriegsmann wie Monsieur de Montcalm zurückzuschlagen, so würde ich der älteren dieser Damen mit Vergnügen die Verteidigung von William Henry anvertrauen.«
»Es ist eine weise Verordnung in unserem Gesetz: ›Die Krone von Frankreich soll nie die Lanze an den Rocken übergeben‹«, versetzte Montcalm trocken und mit einer gewissen Hoheit, ging aber sogleich wieder in einen Ton leichter Höflichkeit über, »da alle edleren Eigenschaften sich vererben lassen, so will ich Ihnen gerne glauben; aber, wie ich schon sagte, auch der Mut hat seine Grenzen und auch die Menschlichkeit spricht ihr Recht an. Ich hoffe, mein Herr, Sie sind bevollmächtigt, über die Bedingungen der Übergabe des Forts zu unterhandeln?«
»Haben Eure Exzellenz unsere Verteidigung so schwach gefunden, dass Sie diese Maßnahme notwendig glauben?«
»Es sollte mir leid tun, wenn sich die Verteidigung solange hinauszöge, dass meine roten Freunde dort noch mehr gereizt würden«, fuhr Montcalm fort, indem er seine Augen auf die Gruppe aufmerksamer und finsterer Indianer richtete, ohne auf die Frage des anderen zu achten: »Ich finde es schon jetzt schwierig, sie in den Grenzen unserer Kriegsgebräuche zu halten.«
Heyward schwieg, denn eine quälende Erinnerung an die Gefahren, denen er eben erst entronnen war, und an die Leiden, welche jene wehrlosen Geschöpfe mit ihm geteilt hatten, drang sich seinem Geiste auf.
»Diese Herren da«, fuhr Montcalm fort, indem er seinen vermeintlichen Vorteil verfolgte, »sind äußerst furchtbar, wenn sie sich in ihrer Hoffnung getäuscht sehen, und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie schwer es mir fällt, ihren Unmut in Schranken zu halten. Nun, mein Herr, wollen wir von den Bedingungen sprechen?«
»Ich fürchte, Euer Exzellenz sind über die Stärke von William Henry und die Hilfsquellen der Besatzung getäuscht worden!«
»Ich belagere nicht Quebec, sondern eine Erdschanze, die von zweitausenddreihundert wackeren Soldaten verteidigt wird«, war seine kurze, aber lakonische Antwort.
»Unsere Wälle sind Erdschanzen, es ist wahr, und ruhen auf keinem Diamantfelsen, aber sie stehen an einem Ufer, das Dieskau und seinem Heer verderblich geworden ist. Nur wenige Stunden ist eine beträchtliche Macht von uns entfernt, die wir als einen Teil unserer Verteidigungsmittel betrachten.«
»Ja, sechs- bis achttausend Mann«, erwiderte Montcalm wie es schien mit großer Gleichgültigkeit, »und ihr Chef hält sich hinter seinen Schanzen für sicherer als in offenem Felde.«
Jetzt war es an Heyward, sich vor Ärger in die Lippe zu beißen; da der andere so kaltblütig von Truppen sprach, deren Stärke, wie der junge Mann wohl wusste, so sehr übertrieben worden war. Beide schwiegen eine kleine Weile; endlich nahm Montcalm wieder das Wort und gab zu verstehen, dass er bei dem Besuche des Offiziers keinen anderen
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