Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
zerrte sich den Handschuh von der Rechten und legte die Hand an ihre Wange. Sie schmiegte sich hinein. Ihr Schluchzen ließ sie am ganzen Körper beben.
»Komm mit mir«, sagte Afdza mit brüchiger Stimme. »Verlass Roland, verlass Roncevaux. Komm mit mir …«
»Ich kann Roncevaux nicht aufgeben«, schluchzte Arima. »Es ist meine Heimat. Roncevaux ist das, was ich bin.«
»Die Heimat eines Menschen liegt in seiner Seele, nicht an einem Ort, Arima. Und die Seele geht dorthin, wohin der Mensch geht.«
»Afdza, verstehst du denn nicht? Wenn ich dich wähle und Karls Anordnung, Rolands Frau zu werden, missachte, wäre ich eine Verfemte. Ich könnte niemals nach Roncevaux zurückkehren!«
Afdzas Miene verzerrte sich. »Ich werde Roncevaux für dich erobern, und ich werde es für dich halten gegen jeden Angriff, von welcher Seite auch immer. Ich lasse mein Leben für die Verteidigung deiner Heimat, wenn ich nur meinen letzten Atemzug in deinen Armen tun kann!«
Arima schüttelte den Kopf. »Wir würden den Krieg nach Roncevaux tragen. Und was wäre das Ergebnis all dessen? Meine Heimat wäre zerstört, du wärst tot, und ich würde meine Tage in einem Kloster beenden.«
»Aber der Krieg wird kommen, so oder so! Weder der Emir noch Statthalter Suleiman werden zulassen, dass der Passübergang in den Händen Karls bleibt.«
»Ich will nicht diejenige sein, derentwegen er nach Roncevaux kommt. Wie sollte ich damit leben, meine Heimat zu verraten und Tod und Zerstörung über sie zu bringen?«
»Wie kannst du damit leben, unsere Liebe zu verraten?«
»Ich werde es müssen.«
»O gütiger Gott. Arima!« Sie sah den Schmerz in seinem Auge. »Bitte«, flüsterte er noch einmal. Mehr brachte er nicht heraus.
Arima schüttelte den Kopf. Sie erwartete, dass sie jeden Moment tot vom Pferd stürzen würde, weil ihr Herz in tausend Stücke zerbrach.
»Lebwohl, mein Geliebter«, sagte sie. Sie zog am Zügel und wandte sich von ihm ab.
»Warte!«, rief er ungewohnt laut.
»Mach es uns doch nicht noch schwerer, Afdza.« Sie hatte ihn nicht mehr ansehen wollen, aber dann drehte sie sich doch um. Afdza nestelte mit zitternden Händen an einem Band um seinen Hals, dann riss er es einfach ab. Er holte den kleinen Lederbeutel mit der Schriftrolle und dem Handamulett hervor.
»Ich möchte es dir schenken«, sagte er.
Sie nahm das Geschenk an, obwohl eine Stimme in ihr rief, dass sie es zurückweisen sollte, weil sie es von nun an jeden Tag betrachten und berühren und sich an ihn erinnern würde und die Wunde in ihrem Herzen sich deshalb niemals schließen würde. Aber die andere Stimme, die sagte: So hast du wenigstens etwas von ihm, was dir bleibt, war stärker.
»Das Amulett nennt man bei meinem Volk Khamsa«, sagte er. »Es ist die Hand von Fatima, der Tochter des Propheten. Sie wird alles Böse von dir fernhalten. Und die Schriftrolle …« Seine Stimme brach.
»Führe uns auf den rechten Weg«, wisperte Arima.
»Ich werde nie mehr auf dem rechten Weg wandeln«, sagte Afdza. »Und ich brauche keine Furcht mehr zu haben vor dem Bösen, denn das Schlimmste, was es geben kann, ist mir bereits passiert.«
»Hasse mich nicht, Afdza.«
»Ich liebe dich«, erwiderte er.
Sie nickte. Sie wollte es nicht sagen. Es zurückzuhalten erstickte sie fast, aber sie schaffte es. Er musterte ihr Gesicht noch einen Moment lang mit verzweifelter Hoffnung, dann senkte er den Kopf, wendete sein Pferd und lenkte es zu Chlodwig. Der junge Sachse winkte ihr schüchtern zu. Afdza sagte etwas zu ihm, dann gab er seinem Pferd die Sporen. Dreck und Grassoden in die Höhe schleudernd, ritten die beiden Männer in vollem Galopp davon.
»Ich liebe dich, Afdza!«, schrie Arima ihm hinterher. Gott, wie hatte sie ihm nur antun können, es ihm nicht zu sagen! »Ich liebe dich!« Sie wusste, dass ihre Stimme ihn nicht mehr erreicht hatte. Sie sank in den Sattel zurück. Afdzas Geschenk glitt aus ihrer Hand und fiel auf den Boden. Sie hatte nicht die Kraft, es wieder an sich zu nehmen.
Turpin und Ealhwine kamen aus dem Gebüsch. Turpin hatte seinen Bogen längst über die Schulter gehängt und den Pfeil zurück in den Köcher gesteckt. Ealhwine kletterte vom Pferd, hob den Lederbeutel mit dem Amulett daran auf und reichte ihn ihr. Sie wandte sich ab. Ealhwine zögerte einen Augenblick, dann steckte er den Talisman ein.
Turpin sagte kein Wort. Er zog ihr die Kapuze über den Kopf, nahm ihr die Zügel aus den fühllosen Händen und brachte sie zurück
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