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Der letzte Polizist: Roman (German Edition)

Der letzte Polizist: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Polizist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Winters
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habe.
    »Naomi«, sage ich, und in ihren Augen flackert die rasche, spöttische Erkenntnis auf, dass ich sie bisher noch nie mit ihrem Vornamen angesprochen habe. »Was wollten Sie dort an diesem Morgen?«
    Der Funke erstirbt in ihren Augen; ihr Gesicht zieht sich zusammen, und sie wird blass. Ich wünschte, ich hätte nicht gefragt. Ich wünschte, wir könnten einfach hier sitzen, zwei Menschen, und Nachtisch bestellen.
    »Er hat oft davon geredet. Am Telefon, abends, besonders so um den Dezember herum. Er war fertig mit den Drogen, das glaube ich wirklich, aber er war immer noch … er war nicht richtig glücklich. Aber wer ist das schon. Richtig glücklich. Wie auch?«
    »Ja. Also, er sprach vom McDonald’s?«
    Sie nickt. »Ja. Er sagte, kennst du den Laden? Wenn ich mich umbringen würde, dann dort. Schau dir den Laden bloß mal an.« Ich schweige. Woanders klirren Löffel in Kaffeetassen. Die melancholischen Gespräche anderer Leute. »Na jedenfalls, als er nicht zur Arbeit kam, bin ich gleich zu diesem McDonald’s rüber. Ich kannte es. Ich wusste, er würde dort sein.«
    Aus Maurice’ Radio in der Küche kommen die Anfangsakkorde von »Mister Tambourine Man«.
    »Hey«, sagt Naomi. »Das ist Dylan, stimmt’s? Mögen Sie den Song?«
    »Nein. Ich mag nur den Siebziger-Dylan und den Dylan nach 1990.«
    »Das ist doch albern.«
    Ich zucke die Achseln. Wir hören einen Moment lang zu. Sie isst ein paar Tomaten.
    »Meine Wimpern, hm?«
    »Ja.«
    Wahrscheinlich stimmt es nicht. Ich bin nahezu sicher, dass diese Frau mich reinzulegen versucht, dass sie mich aus noch unbekannten Gründen in die Irre führen will.
    Die Wahrscheinlichkeit, dass Peter Zell mit harten Drogen experimentiert hat – und erst recht, dass er eine Quelle für die Drogen aufgetan und sie gekauft haben muss –, scheint mir angesichts ihrer gegenwärtigen Knappheit, ihres extrem hohen Preises und der harten Strafen, mit denen die Post-Maia-Gesetze solche Käufe belegen, höchstens eins zu eine Million zu betragen. Andererseits: Muss nicht auch eine Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Million irgendwann einmal eintreten, weil es sie sonst überhaupt nicht gäbe? Jeder hat das gesagt. Statistiker in Fernseh-Talkshows, Wissenschaftler bei Anhörungen vor dem Kongress, alle haben sie es zu erklären versucht, alle wollten sie unbedingt, dass die ganze Sache irgendeinen Sinn ergibt. Ja, die Wahrscheinlichkeit war außerordentlich gering. Eine statistische Wahrscheinlichkeit, die gegen null ging. Aber selbst die noch so geringe Wahrscheinlichkeit eines gegebenen Ereignisses ist rein akademisch, sobald dieses Ereignis trotzdem eintritt.
    Dennoch glaube ich einfach nicht, dass sie gelogen hat. Ich weiß nicht, warum. Ich schließe die Augen und sehe sie vor mir, wie sie mir das alles erzählt, der Blick ihrer großen, dunklen Augen ist fest und traurig, sie schaut auf ihre Hände, ihr Mund ist still und starr, und ich denke aus irgendeinem hirnrissigen Grund, dass sie ehrlich zu mir war.
    Die Peter-Zell-und-Morphium-Frage zieht eine langsame, elliptische Kreisbahn durch meinen Geist und treibt an dem anderen neuen Faktum vorbei, das sich dort oben dreht: Zells Gedanke, das McDonald’s sei der geeignete Ort für einen Selbstmord. Was nun, Detective? Er ist also ermordet worden, und der Mörder hat ihn zufällig genau dort abgelegt, damit er gefunden wird? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit dafür ?
    Der Schnee hat sich verändert, große, dicke Flocken fallen langsam herab, fast einer nach dem anderen, und landen schwer in den Schneewehen auf dem Parkplatz.
    »Alles in Ordnung mit dir, Hank?« Ruth-Ann lässt die Hunderter, die ich auf den Tisch gelegt habe, in die Tasche ihrer Schürze gleiten, ohne sie anzusehen.
    »Keine Ahnung.« Ich schüttle langsam den Kopf, schaue zum Fenster hinaus auf den Parkplatz und hebe meine Tasse, um einen letzten Schluck zu trinken. »Ich hab das Gefühl, ich bin nicht für diese Zeiten gemacht.«
    »Ich weiß nicht, mein Junge«, sagt sie. »Ich denke, du bist vielleicht der Einzige, der dafür gemacht ist.«
    Um vier Uhr morgens erwache ich aus einem abstrakten Traum von Uhren, Stundengläsern und Rouletterädern und kann nicht wieder einschlafen, denn plötzlich hab ich’s, ich habe zumindest ein Stück des Puzzles, also immerhin etwas .
    Ich ziehe mich an, Blazer und Hose, setze Kaffee auf und stecke meine halbautomatische Polizeipistole ins Halfter.
    Die Worte drehen sich in meinem Kopf, in einem langen,

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