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Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Regent: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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und in ihrem Schein erschien ein Durcheinander aus lianenartigen Fasersträngen, Blattwedeln, Baumstämmen mit geriffelter Borke und Ästen mit Stängeln wie Fühler. Weiter hinten bewegte sich etwas, aber die Dunkelheit gab keine Einzelheiten preis, und die Schwarmokulare ließen Xavius nur undeutlich Umrisse erkennen, mit denen er nichts anfangen konnte.
    Laurania machte Anstalten, Pribylla nach draußen zu folgen. »Passen Sie genau auf, Chronist. Versuchen Sie, nur die Dinge anzufassen, die ich vor Ihnen berührt habe. Achten Sie genau darauf, wohin Sie die Füße setzen.« Sie schob sich an den Glassplittern vorbei, die noch im Rahmen des Fensters steckten, und trat auf einen dicken Ast, der wie der schorfige Arm eines Riesen aus der Finsternis ragte und den mittleren Bereich des Springers stützte.
    »Was ist mit ihm?«, Xavius deutete auf Jarqez Vandover, der mit gekrümmten Beinen – so wie er zuvor gesessen hatte – neben dem Fenster lag, am Handgelenk die Spange des Demobilisierers. Er versuchte etwas zu sagen oder zu fluchen, aber Xavius hörte nur wortloses Brummen. »Wir können ihn nicht einfach zurücklassen.«
    »Warum nicht?«, erwiderte Pribylla von draußen. »Er wollte uns ins Endurium schicken, wie Rogge und die anderen. Und wir wissen, was sie dort mit uns machen.«
    Xavius achtete nicht auf sie, bückte sich, zog Vandover hoch und half ihm dabei, die Beine zu strecken. »Er könnte uns noch nützlich sein«, sagte er. Als Geisel?, fragte der Chronass, und er dachte: Ja, als Geisel, warum nicht? Es kann nicht schaden, ein Druckmittel zu haben, oder? Aber der wahre Grund lautete: Ihn zurückzulassen, hätte den sicheren Tod für ihn bedeutet, und Xavius brachte es nicht fertig, einfach so – achtlos und unbekümmert – jemanden zu töten, noch dazu einen Mann, der sich für das Endurium einsetzte, einen Offizier der ASE. Dass Vandover ihn für den Mörder des Regenten hielt, spielte dabei keine Rolle. Es verband sie mehr, als sie trennte.
    »Er braucht mehr Bewegungsfreiheit«, sagte Xavius. »Wir können ihn nicht durch den Wald tragen.« Wohin?, fragte der Chronass. Wohin wollt ihr überhaupt? »Er muss selbst gehen können.«
    »Kommt nicht infrage!«, sagte Pribylla scharf.
    »Lass nur, Priby. Hier, fangen Sie, Chronist.« Boris warf ihm den Coder zu. »Ich brauche das Ding nicht mehr. Die Algorithmen sind übertragen. Nur noch eine Minute, und der neue Molekülarchitekt beginnt mit der Produktion von Tarnpheromonen.«
    Xavius fing das kleine Gerät, veränderte die Justierung und sorgte dafür, dass Vandover zumindest einen Teil seiner motorischen Kontrolle zurückbekam.
    »Sie werden es … bitter … bereuen!«, stieß der Generalkonsul und Protektor von Bluestone hervor.
    »Dass ich Ihnen gerade das Leben gerettet habe?« Xavius deutete aufs Fenster. »Hinaus mit Ihnen. Und keine falsche Bewegung. Die junge Dame da drüben würde zu gern von dem Pulser Gebrauch machen.«
    Kurze Zeit später standen sie dort, wo der dicke Ast in den Baumstamm überging, der mindestens zehn Meter durchmaß, wenn nicht mehr. Etwas dünnere Äste bildeten eine Art Treppe, über die man nach unten gelangen konnte. Fadenbündel hingen von oben aus der Finsternis herab und schwangen langsam hin und her, obwohl es völlig windstill war. Pribylla stand bereits einige Äste weiter unten, kaum mehr als eine Silhouette in der Finsternis, wenn Laurania die Lampe nicht auf sie richtete.
    »Achtet auf die Nesselfäden, wenn ihr herunterklettert. Und auf die Springknospen an diesem Ast. Sie stecken voller giftiger Dornen. Boris?«
    »Gleich«, kam seine Stimme aus dem Wrack. »Nur noch eine Minute.«
    »Ich werd’ verrückt«, stöhnte Pribylla. »Der Kerl treibt mich mit seiner Minute in den Wahnsinn!«
    Laurania leuchtete mit der Lampe genau in dem Moment zum Springer, als der dicke Ast unter seinem Mittelteil mit einem Knacken nachgab, das wie ein Schuss klang. Ein Netz aus zahlreichen Fasersträngen, Zweigen, Ästen und großen gummiartigen, ineinander verzahnten Blättern hatte den abgestürzten Springer wie mit einem Sprungtuch aufgefangen, und vielleicht wäre es auch in der Lage gewesen, das Gewicht des Wracks – etwa zwanzig Tonnen, schätzte Xavius – auf Dauer zu tragen. Doch dieses Gewicht war ungleichmäßig verteilt und ruhte vor allem auf dem dicken Ast, dessen Knirschen sie schon im Innern des Springers gehört hatten. Der vordere Bereich, inzwischen von den insektoiden Kundschaftern des Waldes

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