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Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Regent: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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es, alte Worte aufzubewahren?«
    Die Morti bewahrten viele Dinge auf, dachte Xavius, behielt diesen Gedanken aber für sich. Einige davon hatte er damals als Junge und Heranwachsender im Mnemonischen Institut in Ibbemma auf Tibetian gelernt, im Verlauf von langen Karma-Sitzungen. Andere waren so wichtig, dass sie zu den Geheimnissen zählten, gehütet von ausgewählten Morti, allesamt Puristen, oder – die wichtigsten – vom Regenten. Auch Er ist ein Kustos, dachte Xavius in einem Anflug von Ironie. Der größte von allen.
    Er war es, korrigierte der Chronass. Derzeit gibt es keinen Regenten. Aber in einem Monat wählt das Konklave einen neuen, und er wird all die alten Geheimnisse erfahren.
    Xavius sagte: »Wer weiß besser als ich, was Worte bedeuten und bewirken können?«
    »Deshalb wollten wir Sie entführen, Xavis«, sagte Laurania. Es klang fast traurig. »Fast zwei Jahre haben wir an dem Plan gearbeitet und alles vorbereitet, bis ins letzte Detail. Wir wollten Sie entführen, um Ihre Stimme zu benutzen und dem Endurium durch Ihren Mund die Wahrheit zu sagen.«
    »Meine Stimme ist immer die der Wahrheit gewesen«, entgegnete Xavius mit verletztem Stolz und spürte gleichzeitig die Neugier des Chronass.
    »Das Endurium behauptet, Sie hätten den Regenten umgebracht.«
    »Ich habe Ihn nicht …«
    Lauranias Finger berührten seinen Mund, nahmen ihm die Worte und hinterließen eine seltsame Wärme an den Lippen.
    »Nein, Sie haben den Regenten nicht ermordet. Dazu wären Sie gar nicht fähig. Es ist eine der vielen Lügen im Mesh. Man hat Sie als Chronist benutzt, und man benutzt Sie auch jetzt, als Sündenbock. Wir wollten Sie entführen und Ihnen die Wahrheit zeigen. Wir hatten nicht erwartet, dass es leicht würde, aber wir hofften, dass es uns irgendwann gelänge, Ihnen die Augen zu öffnen.«
    »Haben Sie wirklich geglaubt, mich auf Ihre Seite ziehen zu können?«
    »Ist die Wahrheit nicht ein überzeugendes Argument?
    Ich kenne die Wahrheit, dachte Xavius, aber der Chronass sagte: Bist du sicher? Können wir sicher sein?
    »Alles war vorbereitet. Wir warteten nur noch auf eine günstige Gelegenheit.«
    »Und die kam beim Zwillingsplaneten Ratchford-Uyeda.« Xavius spitzte die Ohren, als er in der Ferne ein dumpfes Rauschen hörte, wie von einem Wind, der durch den Wald strich. Instinktiv hob er den Blick und beobachtete den Himmel, oder was davon durch die Lücken des grünen Dachs zu sehen war, das sich hier wieder dicht über dem etwas schmaler werdenden Fluss spannte.
    »Ja. Aber dann wurden Sie verhaftet, wegen der Ermordung von Salyard. Stunden vergingen. Wir mussten improvisieren, als Sie in die Freiheit zurückkehrten.«
    »Ich habe Salyard nicht ermordet«, sagte Xavius.
    »Ich glaube Ihnen .«
    Diesen Worten folgte keine Erleichterung, sondern schwere Stille, gefüllt von Zweifel und tiefer, kalter Beklommenheit. Erinnerungen stiegen in Xavius auf, düster und unwillkommen, zeigten ihm einen Regenten, der sich vor ihm umdrehte, und die eigenen Hände, in der einen ein Phasenmodifikator und in der anderen ein Pulser. Er hörte Martas Stimme, wie sie von einem Trauma sprach, von der Wahrheit, der es sich zu stellen galt, und er hörte sich selbst, wie er vor der Kommission die Schuld eingestand.
    Das Rauschen … Vielleicht kam es aus seinem Innern. Vielleicht war es eine Flutwelle, die weitere Erinnerungen brachte und alles andere fortzureißen drohte.
    »Wer ist Mallory?«, fragte Xavius, um den eigenen Gedanken zu entrinnen.
    »Wie kommen Sie ausgerechnet jetzt darauf?«, entgegnete Laurania überrascht.
    Xavius schwieg und wartete.
    Das Rauschen in der Ferne blieb, ließ sich nicht vertreiben. Es stammte nicht von Luftwagen oder Kanonenbooten, denn der Himmel über ihnen blieb leer, abgesehen von hohen Wolken und einigen Ästen, die wie ausgestreckte Arme des Waldes über den Fluss reichten. Der Midon strömte etwas schneller, und seine Oberfläche war nicht mehr glatt. Erste Wellen bildeten sich, ließen das Floß sanft schaukeln.
    »Er brach vor einigen Monaten zur Erde auf«, sagte Laurania schließlich. »Mit Greyhand, Loken, Althea und den anderen. Mit den Besten von uns. Niemand von ihnen kehrte zurück.«
    »Zur Erde? Was wollten sie dort?«
    »Die Geheimnisse des Regenten und der Stillen Stadt in Erfahrung bringen, Xavis«, sagte Laurania. »Sie wollten versuchen, ihnen auf den Grund zu gehen und herauszufinden, worauf sich die Macht des Regenten gründet, was hinter den Morti steckt.

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