Der letzte Regent: Roman (German Edition)
spekulieren, da ihm Referenzpunkte fehlten, aber seinem Gefühl nach war er mindestens hundert Kilometer hoch und vielleicht zehn Kilometer dick. »Gibt es hier keine Ayunn?«, fragte er.
Sie standen oben auf dem Turm, dem »Materiebrunnen«, Laurania und er, im Einflussbereich einer Schwerkraft, die sie beide als normal empfanden, und sie atmeten Luft, die offenbar von einem Atmosphärenschild festgehalten wurde. Nicht weit von ihnen entfernt führte eine Treppe ins Innere des Turms, in einen Transitraum, der sich frei innerhalb des Materiebrunnens bewegen konnte. Sie warteten darauf, dass Lupton, der Pilot, Rebecca und das Medium Ozell zurückkehrten.
»Ich bin zum dritten Mal hier, und bei den ersten beiden Malen habe ich keine Ayunn gesehen.«
Vor ihnen hörte das Knistern des Komposits auf, als der Changer seine endgültige Form gewann. Er wartete ebenfalls, als schwarze Blume, in einer Stille, die sich im gesamten Fokusraum ausdehnte. Für einen Moment oder auch zwei hörten selbst die Bewegungen der Schlünde auf, und alles wartete.
»Vielleicht ist dies ein peripherer Brunnen«, sagte Laurania. »Ein Fokusraum, den die Ayunn sonst nie benutzen. Der Changer scheint an ihn gebunden zu sein; ich habe nicht gehört, dass er jemals einen anderen angeflogen hat. Es wäre aber auch denkbar, dass solche Brunnen vollautomatisch funktionieren, oder dass die Ayunn, die sich in ihnen befinden, vielleicht im Innern der Kompositmasse, uns bisher gemieden haben.«
Auch in Xavius’ Innerem herrschte Stille, eine Ruhe wie vor dem Sturm.
»Erklär es mir«, sagte er. »Erklär mir, was das hier ist und wie es funktioniert.«
Laurania erklärte, was sie wusste. Dieser Ort, dieser Fokusraum, ein vier Lichtminuten durchmessendes Mikrouniversum, lag eingebettet in einem höheren Kontinuum, und die Schlünde – braungelbe Trichter, die gut siebzig Millionen Kilometer entfernt waren und den Materiebrunnen auf allen Seiten umgaben – stellten Verbindungen zu verschiedenen Orten und Zeiten in dem Universum her, das die Milchstraße enthielt.
»Da scheint es gewisse Parallelen mit den Subtunneln zu geben«, sagte Xavius. Er sah zum »Himmel« hoch, der aus zahllosen runden Mäulern bestand, einige von ihnen weit offen, andere halb geschlossen. Weitere gab es unten und auf allen Seiten. Tausende, Millionen, vielleicht noch mehr. »Möglicherweise existiert sogar ein Zusammenhang mit den Attraktoren und den Reisenden. Wenn der Menschheit ein solches Transportsystem zur Verfügung stünde …«
»Von den Subs wissen die Morti des Enduriums schon seit einer ganzen Weile«, sagte Laurania. »Wir haben bereits darüber gesprochen, erinnerst du dich? Doch die Portale sind blockiert.
»Was ist hiermit, Laura?« Xavius stampfte mit dem Fuß auf die feste Oberfläche des Turms, die so fest gar nicht war, wie sie eben bei den Interaktionen mit dem Changer gesehen hatten.
Die Frau mit dem feuerroten Haar lächelte, was Xavius ein wenig seltsam erschien, bis er begriff, dass er sie »Laura« genannt hatte.
»Der ganze Turm besteht aus Materie, die jede beliebige Form oder Struktur gewinnen kann. Stell dir ein gewaltiges Materialgedächtnis vor, das den ganzen Turm betrifft und keine Grenzen kennt, jederzeit neu programmiert werden kann. Außerdem ist der Turm imstande, neue Materie aufzunehmen. Besser gesagt, er zapft die Energie des Metakontinuums an, in das dieser Fokusraum eingebettet ist, und verwandelt sie in Materie.«
Xavius versuchte sich vorzustellen, was das bedeutete, und einmal mehr bedauerte er, auf die Kommentare seines Chronass verzichten zu müssen. »Ayunn-Schiffe wie der Changer kommen hierher und verändern ihre Konfiguration.«
»Ja.«
»Sie werden größer oder kleiner.«
»Ja.«
»Sie lassen sich mit neuen Modulen ausstatten, mit neuen Funktionen, mit allem, was sie brauchen.«
»Noch einmal ja.«
»Aus Alt mach Neu?«, fragte Xavius.
»In gewisser Weise«, sagte Laurania. »Unser Changer hat dem Brunnen die Masse gegeben, die er nicht braucht, die er zu viel hatte, und dieser Turm macht daraus einen Rohstoff, der für andere Schiffe verwendet werden kann. Individuelle Konfigurationen und Konzepte können abgerufen werden, womit sich Struktur und Zweck der betreffenden Raumschiffe anpassen lassen.«
Xavius beobachtete, wie ein Schlund, der sich aus seinem Blickwinkel gesehen genau über der schwarzen Orchidee des Changers befand, größer wurde und seine Farbe veränderte. Aus dem matten Braungelb, wie
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