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Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Regent: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Gelegenheit, und sie brauchten nicht einmal zusammenzurücken – einst hatten mehr als zwanzig Millionen Menschen in diesem Hauptzylinder des Habitats gelebt und gearbeitet. Zwischen den Galerien boten Hunderte von Metern große Panoramafenster Blick ins All, doch kaum einer der Besucher interessierte sich für die Erde, die Festungen und Bastionen in den höheren Umlaufbahnen und die militärischen und zivilen Schiffe, die gelegentlich vorbeiglitten. Eine Million Augenpaare waren auf die Plattform gerichtet, die von Gravitatoren gehalten in der Mitte des Habitats schwebte, umgeben von den vagen Schlieren dreifach gestaffelter Schutzfelder, Dutzenden militärischen Servitoren und dem unsichtbaren Staub von Milliarden Mikromaschinen, die alle eine Aufgabe hatten: Sie sollten die Sicherheit des Konklaves gewährleisten.
    Auf der Plattform saßen die sechsundzwanzig Vertreter der großen Familien an einem runden Tisch aus grauschwarzem Obsidian, darin das Symbol des Enduriums, eine stilisierte Faust vor dem Hintergrund der Erde. Es waren ausnahmslos mindestens dreihundert Jahre alte Morti, so wollte es das Gesetz. Am Rand der Plattform erhoben sich Tribünen, und auf ihnen verteilt, jeweils in einem Abstand von mehreren Metern, saßen die offiziellen Kandidaten für die neue Regentschaft, alles Puristen und Vivi. Natürlich gehörten sie den Sechsundzwanzig Familien an, von denen auch die Vorschläge für den Kandidatenstatus stammten. Das Gremium schließlich, unter der Leitung von Quintus Quiron, hatte zehn eigene Kandidaten vorgeschlagen. Es waren insgesamt einhundertzweiundneunzig Kandidaten, so viele, wie es Welten im Endurium gab, was natürlich nicht bedeutete, dass jeder dieser Planeten einen Bewerber für das Amt des Regenten entsandt hatte. Die meisten Kandidaten kamen von den Zentralwelten Tibetian, Cuadrado, Quiggle, Smelcer, Canas, Youngquist und Beaufort, insgesamt neunundsiebzig – so entsprach es den in der Gründungscharta des Enduriums festgesetzten Regeln.
    Das Gremium hatte sich auf einem eigenen Podium eingefunden, das abseits der Konklaveplattform schwebte und durch einen schmalen Steg mit ihr verbunden war. Zehn Männer und Frauen saßen dort, und sie zählten zu den ältesten Morti des Enduriums. Die meisten von ihnen waren mindestens vierhundert Jahre alt und hatten das letzte Jahrhundert im alten Habitat oder in der Stillen Stadt auf der Erde verbracht.
    Die Rednersäule war hundert Meter lang und bestand aus einzelnen scheibenförmigen Modulen, die sich wie Rotationselemente drehten. Jedes von ihnen leuchtete in einer anderen Farbe, und die Farben wechselten nach jeder Umdrehung. Mit den Rotationen wanderten Schriftzeichen über die Module: der gesamte Text der Charta und des Irdischen Friedens.
    Von Gravitatoren getragen näherte sich die Säule, als Quintus Quiron, Xavius und Laurania die Transportkapsel verließen, die sie zum Hauptzylinder des Habitats gebracht hatte. Die Schwäche war fast ganz aus Xavius’ Knien verschwunden, und Aufregung vertrieb die Benommenheit. Sein Blick ging über die schwebenden Plattformen hinweg zu den vielen Besuchern in den Galerien, und er fragte sich, ob die beiden Männer unter ihnen waren, denen zwei der drei verschlüsselt gesendeten Mitteilungen gegolten hatten. Dann war die Säule da, und aus ihrem oberen Teil neigte sich ihnen eine Rampe entgegen. Oben stand eine Gestalt neben dem Rednerpult und bediente die Navigations- und Kommunikationskontrollen der Säule. Sie trug ein Zeremoniengewand, die rubinrote Kapuze über den Kopf gezogen; das Gesicht blieb unter der traditionellen Maske verborgen. An ihrem Gürtel steckte eine der alten Projektilwaffen, die noch aus der Zeit der Habitatkonstruktion stammten, wie es eine weitere Tradition verlangte: Der Säulenpilot war auch Wächter des Orators und für seine Sicherheit verantwortlich.
    Als sie die Rampe hinter sich gebracht hatten und auf der Säule standen, machte Quintus Quiron Gebrauch vom Coder und aktivierte die Demobilisierer. Xavius spürte, wie er erstarrte, wie sich die Muskeln plötzlich seiner bewussten Kontrolle entzogen, und aus dem Augenwinkel sah er, dass es Laurania ebenso erging. Es spielte keine Rolle. Um sein Anker zu sein, seine Rettungsleine, benötigte sie nicht ihren ganzen Körper, nur den Mund, und die Lippen waren nicht von der Lähmung betroffen, wie ein kurzes Zittern verriet.
    Quiron trat zum Pult, als die Rednersäule einige Dutzend Meter von der Konklaveplattform

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