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Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Regent: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Marta stand dort und sah ihn an; ihre Nähe gab ihm Kraft. »Ja«, sagte er. »Ich bin es gewesen. Ich habe den Regenten umgebracht.«
    »Ich habe den Regenten umgebracht«, hört Xavius sich sagen, und er weiß, dass der Mörder aus ihm spricht, das Ich-Konstrukt, das für diesen Zweck geschaffen und ihm bei Ratchford-Uyeda implantiert wurde, während der Stunden, die in seiner Erinnerung fehlen. Er weiß, dass es geschehen musste, aber er ist trotzdem erschrocken, denn plötzlich ist er hilflos, nur noch ein Gast in seinem eigenen Körper, und vielleicht noch weniger, er kann nur noch zuhören und beobachten, ohne selbst einzugreifen. Er hört, wie er den Mord gesteht, wie er die Einzelheiten nennt, und er sieht das Meer aus Gesichtern in den Galerien des Hauptzylinders, stellt sich all die Menschen auf den Welten des Enduriums vor, die ihn, den Chronisten, der die Wahrheit liebte, nun für den größten Verbrecher der letzten Jahrhunderte halten. Es tut weh, es schmerzt tief in der Seele, und doch ist es notwendig, denn diese Lügen sind es, die den Weg für die Wahrheit ebnen sollen.
    Er erzählt, wie sich die Gruppe an Bord der Zerberus aufgeteilt hat, wie sich jeder mit einem eigenen Ziel auf den Weg durchs Flaggschiff macht. Die einen lenken die Wachen ab und bereiten den Kettenbrand vor, während er von einem Phasenmodifikator – einem Gerät der Ayunn – geschützt durch Wände gleitet, ohne dass ihn jemand bemerkt, bis er schließlich einen halbdunklen Raum erreicht, in dem der Regent sitzt, mit einer Interface-Wand verbunden, die es ihm erlaubt, seine Gedanken ins Mesh zu schicken. Er schildert den kritischen Moment, als er den Schutz der Phase verlassen und in die Realität zurückkehren muss, um von der Waffe Gebrauch zu machen, die er jetzt in der rechten Hand hält, während die linke die Kontrollen des Phasenmodifikators betätigt. Er weist darauf hin, dass er fast zu langsam gewesen wäre, dass Avedo Avedis noch schneller reagierte als erwartet. Er beschreibt, wie der Regent aufsteht und sich umdreht, und genau in diesem Augenblick schießt er – der Strahl des Pulsers erfasst den ganzen Körper, lässt kaum mehr übrig als den Kopf.
    Es ist vollbracht, der Regent ist tot, das Endurium ohne sein Oberhaupt geschwächt. Die dritte Inkursion der Ayunn kann beginnen.
    Die fünf blassen Personen auf der anderen Seite des Tisches wirkten sehr ernst, aber Xavius lächelte. Die dunkle Wolke, die die ganze Zeit über ihm geschwebt hatte, sie existierte nicht mehr. Licht durchströmte ihn, als erreichte es ihn direkt von der Sonne, und er atmete frei und leicht, ohne die schwere Last auf seiner Seele. Er sah Marta an und erwartete von ihr, dass sie sein Lächeln erwiderte, aber sie war so ernst wie die Mitglieder der Kommission.
    »Ihr Trauma ist überwunden, Xavis V Xavius, Chronist des Enduriums«, sagte der Mann in der Mitte. »Sie sträuben sich nicht länger gegen die Wahrheit.«
    »Nein«, erwiderte Xavius. »Marta hatte von Anfang an recht. Sie hat mir sehr geholfen, sie und ihre Medizin. Ich weiß jetzt, was geschehen ist. Ich gebe alles zu. Es war kein Unfall, sondern Mord. Und ich habe ihn begangen, ich bin der Täter.«
    Die Kommissionsmitglieder erhoben sich. »Wir erklären die Behandlung hiermit für beendet und werden nach einer Beratung das Urteil verkünden.«
    Xavius erhob sich ebenfalls, und sein Lächeln verblasste. »Urteil?«
    »Sie sind ein Mörder«, sagte der Mann in der Mitte. »Sie haben den Mord am Regenten gestanden. Es ist ein abscheuliches Verbrechen, das nicht ohne Strafe bleiben darf.«
    »Strafe?«, fragte Xavius.
    »Kommen Sie.« Marta legte ihm die Hand auf den Arm. »Wir warten draußen.«
    Sie verließen den Raum und warteten im Flur, wo es so kalt war, dass Xavius fröstelte.
    Ein Raunen geht durch den Hauptzylinder des alten Habitats, wie das erste Flüstern eines herannahenden Sturms. Eine Woge des Zorns schwappt von den Galerien und erfasst die schwebenden Plattformen. In Zeremoniengewänder gekleidete Männer und Frauen sind aufgesprungen, gestikulieren und schreien, aber hier auf der Rednersäule ist nichts davon zu hören.
    Xavius – der andere Xavius, der Mörder – spricht noch immer und erzählt von seiner Flucht. Minerva hat alles gut vorbereitet, angeblich ist er in einem geheimen Auftrag für das Endurium unterwegs. Er begeht noch einen zweiten Mord, beim Zwillingsplaneten Ratchford-Uyeda, er tötet den Archäologen Eugene V Salyard, der sein Wissen nicht

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