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Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Regent: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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mehr an Minerva weitergeben will, und dieser Mord erfüllt einen doppelten Zweck: Minerva beseitigt einen Verräter, und gleichzeitig hat es für die ASE den Anschein, dass der Chronist Xavius unmöglich zu den Splitter-Menschen gehören kann.
    »Warum ich hier stehe und die Wahrheit sage?«, hört er sich fragen. Kommunikatoren tragen seine Stimme durch den Zylinder, an die Ohren von einer Million Besucher, und über verschränkte Verbindungen zu viele Lichtjahre entfernten Sonnensystemen. »Weil die Lüge zu schwer auf mir lastet. Weil die Schuld meine Seele zerquetscht. Weil ich ein reuiger Sünder bin.«
    Und weil ich blaue Medizin getrunken habe, denkt Xavius.
    Die Tür des Konferenzzimmers öffnete sich, und in den kalten Flur trat der Mann, in dessen Gesicht Xavius zuvor seltsame Linien gesehen hatte. Er hielt eine Waffe in der Hand, die sehr alt zu sein schien, aber offenbar gut gepflegt war, denn nirgends zeigten sich Korrosion oder Schmutz. Es war eine Projektilwaffe, erkannte Xavius; sie verwendete keine austauschbaren Energiepakete, sondern Patronen mit Geschossen aus Blei. Der Mann hielt die Waffe nicht wie jemand, der damit schießen wollte, sondern wie einen Gegenstand, der zerbrechen konnte, wenn man nicht vorsichtig damit umging.
    »Dies ist das Urteil«, sagte er. »Die Schuld verlangt Sühne.«
    Xavius starrte auf die Pistole hinab und wusste, was sie bedeutete. Er wurde traurig.
    Marta nahm die Waffe entgegen. »Lassen Sie uns zurückkehren, Xavius«, sagte sie.
    »Nein«, sagte er. »Ich möchte nach draußen in den Park, zu dem roten See und den blauen Bäumen.«
    Sie gingen in den Park, der verlassen war, nicht eine Menschenseele befand sich dort. Nur ein Springhörnchen beobachtete Xavius, als er auf einer Bank Platz nahm, unter einem Baum mit blauem Wipfel.
    Marta blieb stehen. »Dies ist der letzte Schritt«, sagte sie. »Der Schritt zur endgültigen Befreiung. Sie möchten doch frei sein, Xavius, nicht wahr?«
    Das Springhörnchen saß auf einem tiefen Ast und schien wie Marta auf eine Antwort zu warten. Aus großen Augen sah es auf ihn herab.
    »Freiheit«, murmelte er und lauschte dem Klang dieses Wortes.
    »Freiheit von der Schuld, die Sie auf sich geladen haben«, sagte Marta. »Sühne. Der letzte Schritt. Er führt Sie zum Ziel.« Sie legte die Waffe neben ihn auf die Bank. »Ich lasse Sie jetzt allein.«
    Und damit ging Marta, sie ließ ihn tatsächlich allein in diesem Park, in dem es still war, vielleicht so still wie nie zuvor. Nur das Springhörnchen wollte nicht Teil dieser Stille werden, es zirpte leise.
    Xavius sah auf die Pistole hinab und beobachtete erstaunt, wie seine Hand sie nahm, obwohl er sie eigentlich gar nicht berühren wollte. Wie konnte dies Freiheit bedeuten, wenn der letzte Schritt in den Tod führte?, dachte er, als er die Waffe hob, nur um sie zu betrachten, um ihr Gewicht zu fühlen, die Kälte in ihrem dunklen Metall. Aber stattdessen kam die Hand noch weiter nach oben und hielt ihm die Pistole an die Schläfe.
    Das Springhörnchen zirpte erneut.
    »Was willst du mir sagen?«, fragte Xavius. »Wenn du mir etwas sagen willst, solltest du dich beeilen.« Sein Finger krümmte sich bereits um den Abzug.
    Xavius bewegt sich, der andere Xavius, der Mörder, er bewegt sich, er tritt plötzlich zur Seite, zum Piloten und Oratorwächter an den Navigationskontrollen, zu der Frau mit den Augen, die fast ausschließlich aus Mikromaschinen bestehen. Ehe sie reagieren kann, reißt er ihr die alte Projektilwaffe vom Gürtel.
    Der Hauptzylinder des Habitats scheint zu erzittern, als an seinen gewölbten Wänden Hunderttausende von Menschen aufspringen, erschrocken vom Geschehen auf der Rednersäule. Der Mörder, er hält plötzlich eine Waffe in der Hand, auf wen will er damit schießen?
    Quintus Quiron scheint ebenfalls erschrocken zu sein, er betätigt die Kontrollen des Coders, aber der Demobilisierer an Xavius’ Handgelenk funktioniert offenbar nicht, denn er bleibt in Bewegung. Die Pilotin taumelt zur Seite, Laurania verharrt gelähmt, und der Vorsitzende des Gremiums ist einige Meter entfernt, niemand kann rechtzeitig eingreifen, niemand kann Xavius daran hindern, von der Waffe Gebrauch zu machen.
    Er kehrt zum Pult zurück und hält sich die Pistole an den Kopf.
    »Ich bin der Mörder des Regenten«, sagt er, und wieder trägt das Kommunikationssystem seine Stimme nicht nur durchs Habitat, sondern auch zu hundertzweiundneunzig Welten. »Ich habe den Tod

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