Der letzte Regent: Roman (German Edition)
toste, der seine Gedanken nahm und sie wie welkes Laub fortwirbelte.
Er schwankte, und vielleicht wäre er gefallen, wenn ihn nicht zwei Hände gehalten hätten. Die eine gehörte Laurania, die andere der Promotoria.
»Er schafft es nicht«, wandte sich Selena Seace an die Konklavesprecherin. »Nicht einmal den Kontakt mit dem Mesh hält er aus.«
»Wir helfen ihm«, erwiderte Xalana Xalanis. »Er wird nicht allein sein.«
»Verstehen Sie denn nicht?« Die Promotoria klang verwundert. »Er muss allein sein. Es gibt nur einen Regenten, nur eine Mitte, nur ein Zentrum.«
Ich will weg von hier, dachte Xavius. Mit einer Intensität, die ihm den Atem raubte, sehnte er sich in den Park des Hospitals zurück, zu den blauen Bäumen und dem roten See.
Und dann, als hätte ihm eine kleine Stimme ein großes Geheimnis verraten, sagte er: »Dies ist der Grund, warum nur ein Vivus Regent werden kann.«
Die Promotoria richtete einen durchdringenden Blick auf ihn. Die silbernen Linien auf ihrer Haut bewegten sich wie dünne Schlangen. »Sie haben etwas verstanden.«
»Dies gehört zur Vorbereitung, nicht wahr?« Xavius nahm die Hände von den Interface-Flächen, ohne dass sich etwas änderte. Der Orkan existierte nicht mehr, aber es gab noch immer flüsternde Stimmen, als bestünde nach wie vor eine Verbindung zum Mesh. Lag es an den Mikromaschinen in ihm? War es einigen Tausend von ihnen gelungen, sich zu reparieren und rudimentäre Schwarmfunktionen wiederherzustellen? Oder hatte die Promotoria etwas in seinem Kopf hinterlassen?
»Es ist der erste Schritt«, bestätigte Selena Seace. »Viele weitere müssten folgen, bis Ihr Bewusstsein wirklich bereit wäre. Und Sie sind nicht bereit. In Ihrem Kopf ist zu viel durcheinander.«
»Er ist der Regent«, sagte Xalana Xalanis steif und wechselte einen kurzen Blick mit dem provisorischen Vorsitzenden des Gremiums. »Und jetzt bringen wir ihn zur Pyramide, damit er sterben kann.«
54
Blitze flackerten am dunklen Himmel, doch keiner von ihnen konnte die Stadt treffen, denn ein Kraftfeld schützte sie vor energetischen Entladungen aller Art. Den Regen aber hielt es nicht von ihr fern. Dicke Tropfen fielen, klatschten auf Dächer, sammelten sich in Pfützen, die noch Wasser von den letzten Schauern enthielten, und hämmerten auf die Köpfe der Prozession und der vielen Zuschauer, die dem neuen Regenten die Ehre erwiesen und sich verbeugten, als er an ihnen vorbeischritt, vom Leben zum Tod.
Bei seiner Ankunft schien die Stadt völlig leer gewesen zu sein, aber jetzt zeigten sich ihre Bewohner, die Toten, und die vielen anderen, die gekommen waren, um in ihr zu sterben. Hunderte von Vivi standen auf Antigravplattformen, die ein ganzes Stück abseits des breiten Weges schwebten, der von der Kathedrale zur Pyramide führte. Sie warteten darauf, selbst den Übergang zu vollziehen, aber natürlich hatte der Regent absolute Priorität.
Die besten Plätze gebührten den Morti, den vielen Technikern, die die Anlagen in der Stadt warteten und überwachten, den für die Sicherheit zuständigen Gardisten, den KI-Spezialisten, Denker-Assistenten und all den anderen, die an diesem Ort arbeiteten, meditierten und den Lebenden zu einem längeren Leben im Tod verhalfen. Sie standen zu beiden Seiten des Weges, ein ernstes graues Gesicht neben dem anderen. Niemand von ihnen rührte sich, niemand sprach oder flüsterte ein Wort. Die Stadt blieb still, so wie es ihr Name verlangte.
Auf halbem Weg zur Pyramide bemerkte Xavius den Translokator-Bogen. Er hatte ihn auch zuvor gesehen, beim Verlassen des Shuttles, nahm ihn aber erst jetzt richtig wahr und erinnerte sich an das RIT-System. Gehörte dieser Bogen dazu? Er sah anders aus, von der Größe einmal abgesehen, und er schien nicht in Betrieb zu sein.
Er deutete in dem Augenblick zum Bogen, als ein weiterer Blitz die Dunkelheit der Nacht zerriss. »Erfahre ich auch, was es damit auf sich hat?«
»Sie werden alles erfahren, Regent«, erwiderte die Promotoria. »Alle Geheimnisse werden sich Ihnen offenbaren.« Bei jedem Wort wanden sich die silbernen Linien auf ihrer grauen Haut.
Xavis beobachtete sie, wie sie im Regen glänzten und an manchen Stellen winzige Zeichen bildeten, wie den Anfang von Namen. Er hatte sie gesehen, all die Namen, er hatte sie gehört, das Donnern des Sturms in seinem Kopf.
Vor ihnen ragte die Pyramide dunkel zu einem dunklen Himmel auf. Selena Seace trat zusammen mit einigen Gardisten vor und öffnete das Portal, doch
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